Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
Vom Netzwerk:
es auch war – er musste ihn hier und jetzt dazu bringen, ihm zu verzeihen. Die Zeit drängte, und Willekin wollte nicht sterben. Um Conrad zu beschwichtigen, musste er seine Vorgehensweise ändern. »Sieh es mal so, Conrad. Wir sind quitt. Ich habe meine Rache im Verlies bekommen, und auch Ingrid konnte sich an Domina Ragnhild rächen. Dir hat unser Pakt doch letztendlich auch nicht geschadet, schließlich hast du dadurch zwei Söhne, die du sonst nicht hättest. Das Geld, das du damals an die Boten zahlen musstest, die Albert nach Friesland hinterhergeritten sind, und auch den Betrag, den du dem Kloster für Ragnhilds und Runas Eintritt überlassen musstest, hast du doch schon zehnfach wieder verdient. Lass uns die alten Geschichten vergessen und endlich von hier verschwinden.« Fast flehentlich sah Willekin zu Conrad auf, doch dieser zeigte sich von der Rede nahezu unbeeindruckt. Sein Blick war starr und nicht zu deuten.
    Die ersten Dachbalken stürzten mit lautem Krachen nieder, und die Funken stoben hoch in den Himmel.
    Noch immer sagte Conrad kein Wort. Fast schien es, als überlege er selbst noch, was er zu tun gedachte. Dann endlich, langsam und zögerlich, richtete er den Blick auf Willekin. Dieser versuchte gerade, sich vor einem brennenden Ascheregen zu schützen, indem er die Arme um seinen Kopf schlang.
    Conrads Blick fuhr die Gestalt Willekins entlang. Er sah ihn sich noch einmal ganz genau an. Sein hageres Gesicht mit dem spitzen Bart, seinen vogelartigen Blick und seinen schlanken Körper. Ein letztes Mal blickte er auf Willekins unnatürlich verdrehtes Bein und sagte dann zu ihm: »Du wirst brennen, mein Freund. Dies hier ist dein Grab. Und ich, ich werde leben!« Dann wandte er sich um und ging.
    Willekins Rufe begleiteten ihn noch einige Schritte, bis sie zu einem unmenschlichen Brüllen wurden. Es war das Brüllen eines Mannes, der brannte!
    Conrad fühlte keine Schuld, als er ging. Alles, was er fühlte, waren Hass und Wut auf einen Verräter, der den Tod verdient hatte. Erst ganz tief hinter diesem Gefühl versteckte sich die Traurigkeit darüber, seinen einzigen Freund nun für immer verloren zu haben.
    Das aufstrebende Hamburg brannte in jener Nacht fast vollständig ab.
    Die wenigen der fünftausend Bewohner, die sich hatten retten können, mussten von außerhalb der Stadtmauer mit ansehen, wie ihr Hab und Gut den Flammen zum Opfer fiel. Viele von ihnen hatten nichts als ihr Leben retten können und durften sich wahrhaft glücklich schätzen, wenn sie feste Kleidung an ihren Leibern trugen.
    Die Kirchspiele St. Nikolai und St. Katharinen waren vollständig dem Erdboden gleichgemacht worden. Beide Kirchen, das Heilige-Geist-Hospital und auch alle neuen, prachtvollen Kaufmannshäuser wurden zerstört. Das Kirchspiel St. Jacobi war ebenfalls schwer getroffen. Unerbittlich hatte sich das Feuer von den Domkurien bis zum Beginenkloster hin zur Pfarrkirche gefressen. Ausgerechnet das nördlichste Gebiet hinter dem Pferdemarkt, welches als verrufen galt, hatten die Flammen verschont. Das Petri-Kirchspiel hingegen wurde lediglich an seinem südlichsten Rand zerstört. Wo von den Häusern der Reichenstraße und der Bäckerstraße nur noch die Fundamentbohlen und die Tangen herausragten, standen die Häuser im Inneren des Kirchspiels noch zuhauf in ihrer vollen Größe da. Wie durch ein Wunder wurde der Dom kaum von den Flammen berührt. Einzig das Rathaus, Teile der Petri-Kirche und Teile des Johannis-Klosters waren verbrannt.
    Noch drei Tage später sah man die Stadt am Tage in Rauch gehüllt und bei Nacht glutrot leuchtend. Erst danach konnten die Überlebenden wieder zurückkehren.
    Viele von ihnen hatten diese Tage im Wald verbracht und sich von Beeren und Pilzen ernährt. Der Fluch der Hitze dieses Sommers, welche alles Holz hatte trocken werden lassen und dem Brand so sein Futter gegeben hatte, war nun der Leute Segen. Niemand unter den Überlebenden musste des Nachts im Walde frieren.
    Es gab keine Familie, die gänzlich ohne Verluste geblieben war. Eltern hatten ihre Kinder verloren, Frauen und Männer waren zu Witwen und Witwern geworden, Brüder und Schwestern mussten einander sterben sehen. Doch zunächst bekam keiner die Gelegenheit, seine Lieben zu beweinen, denn mit dem Brand waren die Schreckensmomente noch nicht vorüber. Zahlreiche Überlebende erlagen nach wenigen Tagen ihren schweren Verbrennungen und brachten so erneut Trauer über die Angehörigen. Jeder kämpfte um nicht weniger

Weitere Kostenlose Bücher