Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Gliedern, und so bemerkte keiner, dass Walther sehr in sich gekehrt war. Die Nachricht von Runas Schwangerschaft hatte ihn tief getroffen; doch wider Runas Erwartungen schwieg er still und behielt ihr Geheimnis für sich.
Noch in derselben Nacht konnten sie alle auch Thiderich und Ava mit ihrem Kind in die Arme schließen. Sie hatten es tatsächlich geschafft, sich aus ihrem Haus auf der Grimm-Insel zu retten, bevor das Feuer dort gewütet hatte.
Doch die Freude über das Überleben der Lieben währte gerade so lange, bis die ersten Nachrichten über die Opfer laut wurden. Ein Name folgte dem anderen, und jedes Mal schien der Verlust sich noch schmerzlicher anzufühlen. Unweigerlich fragten sich die Überlebenden, was wohl schlimmer sei: das verzweifelte Warten auf eine Nachricht oder die schreckliche Gewissheit des tatsächlichen Todes.
Auch Albert stellte sich diese Frage am Tage nach dem Brand, denn von Margareta fehlte noch immer jede Spur. Die Suche nach seiner Tochter bestimmte sein ganzes Denken. Er hätte es einfach nicht ertragen, sie auch noch zu verlieren, nachdem er gerade Alheidis und das Ungeborene verloren hatte. Immer wieder stürmte er auf die eine und die andere rothaarige Frau zu, nur um dann festzustellen, dass es sich doch nicht um seine Tochter handelte. Irgendwann, als er die Hoffnung schon fast aufgeben wollte und die Verzweiflung ihn zu übermannen drohte, war es schließlich sie, die ihn fand! Ihr Haar war komplett versengt, und sie hatte Wunden an Armen und Beinen, doch sie würde es schaffen. Überglücklich schloss Albert sein Kind in die Arme.
Ragnhild war dieses Glück nicht vergönnt. Nach zwei Tagen fand man ihren Ehemann Symon und einen Tag später ihre beiden Söhne Symon und Christian. Während der Verlust ihres Ehegatten für Ragnhild nicht schwer zu verschmerzen war, zerriss der Tod ihrer Söhne ihr fast das Herz. Obwohl Symon ihr die Kinder in den letzten Jahren mehr und mehr entrissen hatte und sie die Jungs zeitweise viele Wochen lang nur wenige Augenblicke zu Gesicht bekommen hatte, da ihr Vater sie stets mit sich auf Reisen nahm, waren sie doch ihr eigen Fleisch und Blut. Wäre ihr mit Runa nicht wenigstens eines ihrer fünf Kinder geblieben, hätte sie wohl nicht mehr gewusst, wofür es sich noch zu atmen lohnte. Wieder einmal zürnte sie dem Gott, der sie vor so vielen Jahren bereits enttäuscht hatte und mit dem sie noch immer haderte. Wo waren bloß die Zwillinge? Die Trennung von Godeke und Johannes lag nun schon so viele Jahre zurück, doch in dieser schweren Zeit kam es ihr vor, als wäre es erst gestern passiert.
Albert und Runa taten alles, um Ragnhild in diesen Tagen aufzufangen. Sie schien zunächst nichts um sie herum mehr richtig wahrzunehmen. Vollkommen gleichgültig antwortete sie auf gestellte Fragen, und teilnahmslos aß sie, was man ihr gab.
Nachdem sich die ersten Tage keine Besserung abzeichnete, fingen Albert und Runa an, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Doch als plötzlich der Tag kam, an dem sich Ragnhilds Weg mit dem der Zwillinge kreuzte und sie somit die Gewissheit bekam, dass sie überlebt hatten, veränderte sich ihr Verhalten schlagartig. Ragnhild bekam wieder neuen Lebensmut. Auch wenn ihre Söhne selbst so vergiftet von den Einflüsterungen ihrer Stiefeltern waren, dass sie niemals ein Wort mit ihrer leiblichen Mutter geredet hätten, fühlte sich Ragnhild dennoch besser, seit sie Godeke und Johannes gesehen hatte. Sie liebte ihre Söhne noch immer wie an dem Tag, da sie sie geboren hatte, und nichts würde je etwas daran ändern.
Runa hingegen war sehr stark in diesen Tagen. Das Feuer hatte sie und auch ihre Eltern verschont. Außerdem war ihr geliebter Johann den Flammen entkommen, indem er vor Ausbruch des Brandes nach Lübeck geritten war. Ihre Dankbarkeit darüber ließ sie tapfer voranschreiten. Worum sonst hätte sie auch trauern sollen? Schließlich hatte sie als Begine nahezu keine Güter von Wert besessen, um die es sich nun zu klagen lohnte. Wo andere sich ihren Gefühlen hingaben und von den schrecklichen Bildern der Brandnacht nahezu gelähmt waren, versuchte sie nicht mit dem Schicksal zu hadern. Und als es hieß, eine Unterkunft für sie alle zu finden, wusste Runa sofort, was zu tun war. Kurzerhand machte sie das Glück der Familie von der Mühlenbrücke, deren Haus in dem Teil der ehemaligen Altstadt lag, in dem das Feuer nicht gewütet hatte, zu ihrem eigenen. Sie suchte Agatha und Voltseco auf und bat für sie alle um
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