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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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gewesen wie in jener Nacht.
    In den ersten Tagen nach ihrer Hochzeit hatten die Laute für Ragnhild etwas Beängstigendes gehabt. Natürlich war sie als Jungfrau in die Ehe gegangen und hatte nicht die geringste Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. Die Töne aus dem Nebenzimmer ließen sie wahrhaft Schlimmes vermuten. Conrad klang, als würde er furchtbare Schmerzen leiden, und Luburgis gab zu Anfang immer einen erstickten Schrei von sich.
    Auch wenn sie Albert sehr liebte und seine zärtlichen Berührungen zu Beginn des Aktes genoss, hatte es immer ganz fürchterlich geschmerzt, sobald er in sie eingedrungen war. Sie musste an sich halten, um nicht so zu schreien wie Luburgis.
    Auch wenn Albert vor ihrer Ehe schon ein wenig Erfahrung mit ein paar leichten Mädchen gemacht hatte, vermochte er es anfänglich trotzdem nicht, Ragnhild Vergnügen zu bereiten. Erst als sie schwanger wurde und sie sich nun nicht mehr auf die übliche Art lieben konnten, wurden sie erfinderisch und lernten eine ganz neue Seite an sich kennen. Sie küssten und liebkosten sich gegenseitig an vorher vollkommen vernachlässigten Stellen. Ihre Spiele wurden immer erfinderischer, und an so manchem Morgen trieb ihnen die Erinnerung an die vergangene Nacht die Schamesröte ins Gesicht. In diesen Nächten lernte Ragnhild Gefühle kennen, an die sie nicht im Traum zu glauben gewagt hätte, und beide konnten die Zeit des Zubettgehens an manchen Tagen kaum erwarten. Die Erinnerungen daran waren wunderschön – aber genau deshalb auch so unglaublich schmerzhaft.
    Ragnhild war sich sicher, dass Luburgis niemals derartige Zuneigungen hatte erleben dürfen. Ein Beweis dafür war ganz sicher der Schleier, den sie seit dem besagten Morgen trug. Ihr ohnehin unterkühltes Verhältnis zueinander hatte sich nach dem Vorfall in Stein verwandelt. Es gab absolut keinerlei Herzlichkeit mehr zwischen den Frauen, und Ragnhild wusste, dass Luburgis sie weggestoßen und alles geleugnet hätte, wenn sie die stolze Hausherrin auf das Geschehene angesprochen hätte. Also ignorierte sie, was sie wusste, so gut sie es eben konnte, und ging Luburgis mehr denn je aus dem Weg. So kam es, dass das Haus sehr still wurde. Selbst die Kinder schienen diese seltsame Stimmung zu spüren und verhielten sich ruhiger als jemals zuvor.
    Doch nur weil Ragnhild kaum sprach, hieß das nicht, dass sie nicht dachte.
    Sie wusste, dass es ihr Schicksal war, so schnell wie möglich wieder verheiratet zu werden. Diese Gewissheit schien ihr zwar dermaßen unbegreiflich, dass sie gewillt war, den unliebsamen Gedanken weit wegzuschieben, doch sie wollte vorbereitet sein, wenn Conrad ihr verkündete, wer ihr neuer Gemahl werden würde. Darum zwang sie sich darüber nachzudenken und verbrachte manchmal Stunden damit, einfach nur im Haus umherzuwandern und zu grübeln. Sosehr sie sich jedoch auch anstrengte, es wollte ihr nicht gelingen, sich in Conrad hineinzuversetzen.
    Wäre er gnädig ihr gegenüber und suchte einen halbwegs jungen, gutherzigen Mann für sie aus? Ihr neues Zuhause, wie könnte es wohl aussehen? Ob sie wenigstens Marga mitnehmen dürfte? Und ließe Conrad ihr zumindest noch ihre Trauerzeit? Niemand hätte von außen sehen können, was für Ängste Ragnhild innerlich ausfocht. An manchen Tagen schien ihr die Ungewissheit fast schlimmer zu sein als ihr drohendes Schicksal selbst, und sie hätte Conrad am liebsten gezwungen, endlich mit ihr zu reden. Doch sie musste sich gedulden, bis er endlich bereit war, ihr zu sagen, wen sie als Nächstes ehelichen sollte. So verstrich die Zeit, und Ragnhild kam immer wieder zum selben Ergebnis – warte ab!
    An diesem Morgen jedoch wendete sich das Blatt. Obwohl es seit Tagen nicht die geringste Veränderung ihrer Lage gegeben hatte, überschlugen sich plötzlich die Ereignisse, und die Wahrscheinlichkeit, auch ohne Conrads Erbarmen etwas mehr über ihre Zukunft herauszubekommen, rückte mit einem Mal in greifbare Nähe.
    Es war wohl der guten Verkettung von Ratsherren- und Bürgersfrauen zu verdanken, dass jene Information, die durch das Lauschen an den Türen oder das Bestechen von Boten und Mägden zutage gekommen war, auch zu Ragnhild drang. Conrad hatte tatsächlich einen Ehemann für sie gefunden – und dieser sollte sogar ein Kaufmann sein!
    Ragnhild fühlte Erschrecken und Beruhigung zugleich. Sie wusste, wenn es Conrad erlaubt wäre, frei über sie zu entscheiden, würde sie womöglich noch im Hurenhaus landen. Da das aber

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