Die Frau des Seiltaenzers
schwöre bei allen Heiligen und der Jungfrau Maria, dass ich bis heute nicht weiß, warum Abt Johannes Trithemius ausgerechnet mich zum Geheimnisträger erwählt und mir als Einzigem das Versteck der neun ›Bücher der Weisheit‹ anvertraut hat. Ich schwöre: Tacent libri suo loco. «
Erasmus schüttelte verständnislos den Kopf, und unter den übrigen Unsichtbaren entstand Unruhe.
Mit geballter Faust klopfte Erasmus von Rotterdam auf die Tischplatte und mahnte zur Ruhe. Dann wandte er sich Quintus zu.
Dem standen die Züge eines verbitterten Menschen ins Gesicht geschrieben. Es schien beinahe unvorstellbar, dass je ein Lächeln sein Gesicht eroberte. Und so begann er mit gesenktem Blick und schneidender Stimme:
»Mein Name ist Niccolo Machiavelli, geboren in Florenz, wo mein Vater aufgrund widriger Umstände das Dasein eines verarmten Beamten fristete. Als Sekretär der Republik Florenz war ich auch in diplomatischer Mission tätig und ging an den Höfen von Papst Julius, König Ludwig von Frankreich und Kaiser Maximilian ein und aus. Mit einer Verschwörung in Verbindung gebracht, wurde ich gefoltert und aller Ämter enthoben. Schließlich zog ich mich auf mein Landgut zurück. Wie alle, die nichts Anständiges gelernt haben, versuche ich mich seither als Schriftsteller, mehr schlecht als recht. Viele hassen mich als Pessimisten und weil ich die Erkenntnis verbreite, dass Macht das wesentliche Element der Politik sei. Dennoch: Tacent libri suo loco. «
Der Mann, der sich nun umständlich von seinem harten Sitz erhob, stand in krassem Gegensatz zu Quintus. Er war elegant gekleidet, und sein Gesichtsausdruck verriet eindeutig, dass er den Freuden des Lebens nicht abgeneigt war. »Ich bin Sextus«, begann er, als Einziger mit einem Lächeln auf den Lippen – was eigentlich verboten war –, »geboren zu Köln am Rhein als Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, nach abenteuerlichem Leben in Spanien, Italien, Frankreich und England besser bekannt als Agrippa von Nettesheim. Der Berufe habe ich viele: Advokat, Sekretär, Offizier, Arzt, Theologe, Historiker und – nicht zu vergessen – Astrologe, denn die Astrologie brachte mir den größten Ruhm ein. Daneben schrieb ich Bücher, nicht weil ich nichts Besseres gelernt hätte, sondern um Bleibendes zu schaffen, zum Beispiel über die Eitelkeitund Unsicherheit der Wissenschaften, das ich manchem der hier Versammelten zur Lektüre empfehle. Tacent libri suo loco. «
Mit seiner witzigen Rede erntete Sextus feindselige Blicke, bis der glatzköpfige Septimus sich erhob und zu reden begann: »Mein Name ist Philipp Theophrast Baumbast von Hohenheim, doch ganz Europa kennt mich nur unter dem Namen Paracelsus. Den Namen gab ich mir selber in Anlehnung an mein großes Vorbild Cornelius Celsus, den römischen Mediziner aus der Zeit, als Jesus auf Erden wandelte. Para Celsus bedeutet, dass ich mit Celsus einiggehe. Ob ich nun mehr Doktor der Medizin bin, ein Titel den ich mir an der Universität Ferrara erworben habe, oder ein einfacher Naturforscher, das mag die Nachwelt entscheiden. Manche nennen mich gar einen Magier, weil ich Krankheiten auf ungewöhnliche Weise heile. Dabei sind es schlichte Erkenntnisse, die mich dazu befähigen, wie die Tatsache, dass Gott in jedem Land gerade jene Kräuter wachsen lässt, welche gegen die dort auftretenden Krankheiten wirksam sind, oder dass Krankheiten oft eine seelische Ursache haben und keine organische. All das habe ich in 200 Schriften niedergelegt, in der Hoffnung, es der Nachwelt zu erhalten.«
»Der Treueid!«, knurrte Erasmus von Rotterdam ungehalten.
Paracelsus blickte irritiert, dann fügte er seiner Rede eilends hinzu: »Verzeiht, es war keine Absicht! Tacent libri suo loco. «
In einer Mischung aus altertümlichem Französisch und schlechtem Latein begann Octavus seine Vorstellung, in einen schwarzen Gelehrtenmantel gekleidet, bärtig und mit einem zu einem Dreieck gefalteten Hut auf dem Kopf: »Östlich des Rheins nennt man mich nur Nostradamus, weil mein richtiger Name Michel de Nostre-Dame den meisten unaussprechlich erscheint. Die meisten in diesem Land halten mich für einen Schwarzkünstler oder einen einfältigen Phantasten, dabei bin ich aufgrund meiner visionären Begabung ein wahrhafter Prophet. Schließlich bedienen sich Katharina von Medici und König Karl nicht nur meiner Kenntnisse als Doktor der Medizin, die ich in Montpellier erwarb, sondern auchmeiner weisen Voraussagen, die ich irgendwann
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