Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
Würdenträger sowie seine Ehefrauen an die große Tafel im Hauptsaal geladen. Bernt von Zwolle ließ zu diesem Anlass ein opulentes Mahl vorbereiten. Nachdem ich Holz für die Herdfeuer herangeschafft und aus einem der Nebengebäude ein Fass Wein in die Küche gerollt hatte, wies mich von Zwolle an, die Speisen aufzutragen. Ich schleppte also große Platten mit Kalbs-und Gänsebraten, Pasteten, Kuchen und Käse sowie Latwerge und Konfekt in den großen Saal und warf verstohlen ein Auge auf die etwa sechzig Personen, die sich an der Tafel versammelt hatten. Den Mittelpunkt der Tafel bildete natürlich der König, neben dem der Prophet Dusentschur und die Königin Divara Platz genommen hatten. Die Prädikanten und Stadtoberen scharten sich in deren Nähe zusammen, während die übrigen Ehefrauen des Königs ein wenig abseits saßen.
Ich machte Amalia unter den Frauen aus. Sie schien nicht allzu viel Appetit zu haben und spielte recht gelangweilt mit einem Knochen zwischen ihren Fingern. Dummerweise hatte sie wohl bemerkt, dass ich sie zu lange angestarrt hatte, und blickte mir plötzlich direkt ins Gesicht. Verlegen wandte ich mich ab, um weitere Aufmerksamkeit zu vermeiden.
Als alles an seinem Platz war und nur noch die Mundschenke mit ihren großen Krügen um die Tafeleilten, zog ich mich in den hinteren Teil des Saales zurück und verfolgte das Geschehen. Von einer der älteren Mägde ließ ich mir im Flüsterton erklären, um welche Würdenträger es sich handelte, die sich dort an der Tafel versammelt hatten. So konnte ich bald darauf namentlich bekannten Männern wie dem Worthalter Bernhard Rothmann, dem Hofmeister Hermann Tilbeck, dem Statthalter Bernhard Knipperdolling sowie dem Kanzler Heinrich Krechting endlich Gesichter zuordnen.
Die ganze Zeit über wurde an der Tafel geschwafelt. Dann hielt Bernhard Rothmann eine lange Rede. Rothmann war es ja gewesen, der den entscheidenden Anstoß für die Ausbreitung der Täuferlehre in Münster gegeben hatte. Nun predigte er ausschweifend über die Ausrottung der Ungerechtigkeit und Sünde und die Aufgaben der erwählten Gemeinde, die von dieser heiligen Stadt aus zum Vorbild für eine bessere Welt werden würde.
Ich musste alsbald ein Gähnen unterdrücken und war erleichtert, als er endlich zum Ende kam und sich setzte. Anschließend erhob sich Johann Dusentschur, blickte ernst auf den König und ließ seine Augen über die gesamte Runde schweifen, bevor er mit seiner Verkündigung begann. Er wirkte recht angespannt und verhaspelte sich bei seinen ersten Sätzen, doch dann versuchte er diese Unsicherheit mit ausgreifendenGesten und einer schärferen Betonung seiner Worte wettzumachen, was mich unweigerlich amüsierte, da ich an Reynolds gelungene Nachahmung dieser Schmierenkomödie erinnert wurde.
Dusentschur berichtete davon, dass der allmächtige Vater ihm in einer weiteren Offenbarung mitgeteilt habe, dass er den bei Männern wie Frauen überflüssigen Verbrauch von Speisen und Kleidern verdamme. Er hatte ihm außerdem noch einige wichtige Einzelheiten anvertraut, die besagten, dass ein jeder Mann fortan nur noch zwei Mäntel, zwei Paar Hosen, zwei Wämser und drei Hemden sein eigen nennen solle. Eine Frau hingegen solle sich auf einen Rock, einen Pelz, zwei Kragen, zwei Paar Socken und vier Hemden beschränken. Zudem würde für eine Bettstatt der Besitz von vier Laken ausreichen.
Ich lauschte staunend dieser Aufzählung und fragte mich, ob der Prophet Dusentschur eilig zu Tinte und Federkiel gegriffen hatte, als der Allmächtige ihm diese Liste mit auf den Weg gegeben hatte. Zudem machte Dusentschurs Verkündigung den Eindruck, als habe er den gesamten Text auswendig gelernt und hier mit Mühe wiederholt.
Dusentschur beendete seinen Vortrag, und einen Moment lang herrschte Schweigen im ganzen Saal. Dann ergriff Jan Bockelson das Wort und erklärte, wie glücklich er sei, dass Gott seinen Willen durchdiesen Propheten kundtat und dass die Worte des Allmächtigen einem Gesetz gleichkamen. Er selbst wolle dafür Sorge tragen, dass der überflüssige Besitz der Bürger zusammengetragen und dem Gemeinwohl übergeben werde.
Die Entgegnung des Königs weckte mein Misstrauen. Ich hatte ihn während der Verkündigung des Propheten beobachtet, und er hatte auf mich nicht einen Moment lang überrascht gewirkt. Meine Vermutung war es, dass hier im Grunde sein eigener Wille kundgetan wurde und dass er den humpelnden Goldschmied Dusentschur nur als sein Sprachrohr
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