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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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und so beginne ich leise: »Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen...«
    »Sag es lauter«, fällt mir Clare ins Wort.
    »Entschuldige.« Ich verändere meine Position, so dass ich neben Clares Bauch sitze, mit dem Rücken zu Charisse, der Schwester und dem Arzt, greife mit der Hand unter Clares Hemd, an dem die Knöpfe fast platzen. Durch Clares heiße Haut kann ich Albas Umrisse spüren.
    »Engel!« sage ich zu Clare, als lägen wir in unserem eigenen Bett, als seien wir die ganze Nacht wach gewesen, beschäftigt mit weniger bedeutsamen Aufträgen,
    Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten, auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die’s hier bis zum Können nie bringen, ihre kühnen hohen Figuren des Herzschwungs,
    ihre Türme aus Lust, ihre
    längst, wo Boden nie war, nur an einander
    lehnenden Leitern, bebend, - und könntens,
    vor den Zuschauern rings, unzähligen lautlosen Toten:
    Würfen die dann ihre letzten, immer ersparten,
    immer verborgenen, die wir nicht kennen, ewig
    gültigen Münzen des Glücks vor das endlich wahrhaft lächelnde
    Paar auf gestilltem
    Teppich?
    »Na bitte«, sagt Dr. Montague und schaltet den Monitor aus. »Alle sind ruhig.« Sie strahlt uns an und huscht, gefolgt von der Schwester, zur Tür hinaus. Zufällig erhasche ich einen Blick auf den Narkosearzt, dessen Miene klar und deutlich sagt Was bist du denn für ein Weichei ?
     
    Clare: Die Sonne geht auf, und ich liege apathisch auf diesem sonderbaren Bett in diesem rosa Raum, und irgendwo im fremden Land, der mein Uterus ist, kriecht Alba ihrem Zuhause entgegen oder weg von ihm. Der Schmerz hat nachgelassen, aber ich weiß, er ist nicht weit entfernt, er schmollt irgendwo in einer Ecke oder unterm Bett und wird hervorspringen, wenn ich am wenigsten damit rechne. Die Wehen kommen und gehen, weit weg, gedämpft wie Glockengeläut im Nebel. Henry legt sich neben mich. Leute gehen ein und aus. Mir ist, als müsste ich mich übergeben, aber ich übergebe mich nicht. Charisse gibt mir gestampftes Eis aus einem Pappbecher, es schmeckt nach schalem Schnee. Ich betrachte die Schläuche und rot blinkenden Lichter und denke an Mama. Ich schöpfe Atem. Henry beobachtet mich. Er sieht so verkrampft und unglücklich aus. Wieder mache ich mir Sorgen, dass er verschwinden wird. »Alles in Ordnung«, sage ich. Er nickt, streichelt meinen Bauch. Ich schwitze, hier ist es so heiß. Die Schwester kommt herein und sieht nach mir. Amit sieht nach mir. Irgendwie bin ich allein mit Alba unter all den anderen. Alles in Ordnung, beruhige ich sie. Du machst das gut, du tust mir nicht weh. Henry steht auf und schreitet hin und her, bis ich ihn bitte, damit aufzuhören. Ich habe das Gefühl, als würden meine Organe zu lebendigen Wesen, jedes mit seinem eigenen Programm, mit seinem eigenen Zug, den es erwischen muss. Alba bohrt sich kopfüber in mich hinein, ein Bagger aus Knochen und Fleisch, bestehend aus meinem Fleisch und meinen Knochen, sie vertieft meine Tiefen. Ich stelle mir vor, wie sie mich durchschwimmt, stelle mir vor, wie sie in die Stille eines morgendlichen Teichs fällt und das Wasser durch ihre Geschwindigkeit teilt. Ich stelle mir ihr Gesicht vor, ich will ihr Gesicht sehen. Ich sage dem Narkosearzt, dass ich etwas spüren möchte. Langsam lässt die Betäubung nach, der Schmerz kommt wieder, aber nun ist es ein anderer Schmerz. Ein guter Schmerz. Die Zeit vergeht.
    Die Zeit vergeht und der Schmerz wogt langsam ein und aus, wie eine Frau, die am Bügelbrett steht und mit dem Eisen über ein weißes Tischtuch fährt, vor und zurück, immer wieder. Amit kommt herein und sagt, es wird Zeit, Zeit, in den Entbindungsraum zu gehen. Ich werde rasiert, in OP-Kleidung gepackt und auf einer Liege durch Gänge gerollt. Ich sehe die Decken in den Gängen über mir vorbeiziehen, Alba und ich rollen unserem gegenseitigen Kennenlernen entgegen, Henry geht neben uns. Im Entbindungsraum ist alles grün und weiß. Es riecht nach Reinigungsmittel, das erinnert mich an Etta, und ich möchte Etta bei mir haben, aber sie ist in Meadowlark, und ich blicke zu Henry auf, auch er in OP-Kleidung, und ich denke, wieso sind wir hier, wir sollten zu Hause sein, und schon spüre ich, wie Alba in mir wogt, stürzt, und ich presse ohne nachzudenken, und das wiederholen wir, immer wieder, wie ein Spiel, wie ein Lied. Jemand sagt Hey, wohin ist denn der Vater verschwunden. Ich blicke mich um, aber Henry ist fort, er ist nirgendwo zu

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