Die Frau des Zeitreisenden
noch ganz hellgrün. Hier sind die kleinen Eichen.«
Sie wendet mir ihr Gesicht zu und lächelt. »Dann los, sagen wir ihnen hallo.« Ich führe sie zu den drei Eichen, die ziemlich nah am Weg wachsen. Mein Großvater pflanzte sie in den 40er Jahren zum Andenken an meinen Großonkel Teddy, Grandmas Bruder, der im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Sie sind immer noch nicht sehr groß, keine fünf Meter hoch. Grandma legt ihre Hand auf den mittleren Stamm und sagt: »Hallo.« Ich weiß nicht, ob sie den Baum meint oder ihren Bruder.
Wir gehen weiter. Auf der Anhöhe sehe ich die Wiese vor uns ausgebreitet; Henry steht auf der Lichtung. Ich bleibe stehen. »Was ist?«, fragt Grandma. »Nichts«, erwidere ich und führe sie den Pfad entlang. »Was siehst du?«, will sie wissen. »Über dem Wald kreist ein Habicht«, sage ich. »Wie spät ist es?« Ich sehe auf meine Uhr. »Fast Mittag.«
Wir betreten die Lichtung. Henry steht völlig reglos da. Er lächelt mich an, aber er sieht müde aus. Seine Haare werden grau. Er trägt seinen schwarzen Mantel, hebt sich dunkel vor der hellen Wiese ab. »Wo ist der Stein?«, sagt Grandma. »Ich will mich setzen.« Ich führe sie zum Stein, helfe ihr beim Hinsetzen. Sie dreht den Kopf in Henrys Richtung und erstarrt. »Wer ist da?«, fragt sie mit Nachdruck. »Niemand«, lüge ich.
»Dort drüben steht ein Mann«, sagt sie, in Henrys Richtung nickend. Er sieht mich mit einem Ausdruck an, der zu sagen scheint Nur zu, sag’s ihr. Im Wald bellt ein Hund. Ich zögere.
»Clare«, sagt Grandma. Sie klingt verängstigt.
»Wieso stellst du uns nicht vor«, sagt Henry ruhig.
Grandma sitzt ruhig da und wartet. Ich lege ihr den Arm um die Schultern. »Schon gut, Grandma«, sage ich. »Das ist mein Freund Henry. Der, von dem ich dir erzählt habe.« Henry kommt zu uns herüber und streckt die Hand aus. Ich lege Grandmas Hand in die seine. »Elizabeth Meagram«, stellte ich sie Henry vor.
»Sie sind also der Auserwählte«, sagt Grandma.
»Ja«, erwidert Henry, und sein Ja klingt wie Balsam in meinen Ohren. Ja.
»Darf ich?« Sie gestikuliert mit den Händen nach Henry.
»Soll ich zu Ihnen kommen?« Henry setzt sich neben sie auf den Stein. Ich führe Grandmas Hand zu seinem Gesicht. Er beobachtet mein Gesicht, während sie seines ertastet. »Das kitzelt«, sagt Henry zu Grandma.
»Wie Schmirgelpapier«, sagt sie und fährt ihm mit den Fingerspitzen übers unrasierte Gesicht. »Sie sind kein Junge mehr.«
»Nein.«
»Wie alt sind Sie?«
»Acht Jahre älter als Clare.«
Sie sieht verblüfft aus. »Fünfundzwanzig?« Ich betrachte Henrys grau durchsetzte Haare, die Falten an seinen Augen. Er sieht aus wie vierzig, wenn nicht noch älter.
»Fünfundzwanzig«, sagt er bestimmt. Irgendwo dort draußen stimmt es.
»Clare hat mir erzählt, dass sie Sie heiraten wird«, sagt meine Großmutter zu Henry.
Er lächelt mich an. »Ja, wir werden heiraten. In ein paar Jahren, wenn Clare mit der Schule fertig ist.«
»Zu meiner Zeit kamen die Herren zum Dinner und lernten die Familie kennen.«
»Unser Fall ist... komplizierter. Bisher war das nicht möglich.«
»Aber warum denn nicht? Wenn Sie sich mit meiner Enkelin auf Wiesen vergnügen, können Sie sehr wohl auf einen Sprung ins Haus kommen und sich von ihren Eltern begutachten lassen.«
»Nichts lieber als das«, sagt Henry und steht auf, »aber ich fürchte, gerade jetzt muss ich noch einen Zug erwischen.«
»Moment mal, junger Mann«, setzt Grandma an, als Henry sagt: »Auf Wiedersehen, Mrs Meagram. Es war schön, Sie endlich kennen zu lernen. Clare, tut mir Leid, dass ich nicht länger bleiben kann...« Ich greife nach Henry, aber da ist nur das Geräusch, als würde jeglicher Ton aus der Welt gesaugt, und schon ist er fort. Ich wende mich zu Grandma. Sie sitzt auf dem Stein, die Hände ausgestreckt, ihr Gesicht ist ein einziges Fragezeichen.
»Was ist passiert?«, fragt sie mich, und ich versuche, ihr alles zu erklären. Als ich fertig bin, sitzt sie mit gesenktem Kopf da und verdreht ihre arthritischen Finger in seltsame Formen. Schließlich hebt sie den Kopf in meine Richtung. »Aber Clare«, sagt meine Großmutter, »er muss ein Dämon sein.« Sie klingt sachlich, wie wenn sie mir erzählen würde, dass mein Mantel falsch zugeknöpft oder dass Essenszeit ist.
Was soll ich dazu sagen? »Das dachte ich auch schon«, beruhige ich sie und nehme ihre Hände, damit sie aufhört, sie rot zu reiben. »Aber Henry ist lieb. Er fühlt sich
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