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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Kämpfe-oder-Fliehe-Blick, wie man ihn von Rehen aus Naturfilmen kennt.
    »Hallo, Jodie, Bobby.«
    »Hallo, Clare«, sagt Jodie. Obwohl ich Jodie schon ihr ganzes Leben lang kenne, wirkt sie plötzlich schüchtern, woraus ich schließe, dass die Neo-Punk-Montur wohl Bobbys Idee ist.
    »Ihr zwei seht irgendwie aus, als würdet ihr euch langweilen, deshalb möchte ich euch Henry vorstellen. Ihm gefällt euer Outfit.«
    »Hallo«, sagt Henry zutiefst verlegen. »Mich würde nur interessieren ... also, ich habe überlegt, was ihr euch so anhört.«
    »Anhören?«, wiederholt Bobby.
    »Du weißt schon, Musik. Auf welche Musik steht ihr?«
    Bobbys Miene erhellt sich. »Also, die Sex Pistols«, sagt er und überlegt.
    »Natürlich«, erwidert Henry und nickt. »Und Clash?«
    »Klar. Und, ähm, Nirvana...«
    »Nirvana ist gut«, bestätigt Henry.
    »Blondie?«, sagt Jodie, als könnte sie mit ihrer Antwort falsch liegen.
    »Mir gefällt Blondie«, sage ich. »Und Henry findet Deborah Harry gut.«
    »Ramones?«, fragt Henry. Sie nicken beide. »Was ist mit Patti Smith?«
    Jodie und Bobby blicken ausdruckslos drein.
    »IggyPop?«
    Bobby schüttelt den Kopf. »Pearl Jam«, schlägt er vor.
    Ich setze mich für die beiden ein. »Hier oben gibt es keinen vernünftigen Radiosender«, erkläre ich Henry. »Sie haben keine Möglichkeit, solche Gruppen zu hören.«
    »Ach so«, sagt Henry und überlegt. »Pass auf, soll ich dir ein paar Sachen aufschreiben, die du dir anhören solltest?« Jodie zuckt mit den Schultern. Bobby nickt, er wirkt ernst und aufgeregt. Ich stöbere in meiner Handtasche nach Papier und Stift. Henry setzt sich an den Küchentisch, Bobby lässt sich ihm gegenüber nieder. »Gut«, sagt Henry. »Du musst bis in die sechziger Jahre zurück, klar? Du fängst mit Velvet Underground an, in New York. Dann hast du MC5, gleich hier bei uns in Detroit, und Iggy Pop and The Stooges. Dann geht’s wieder nach New York, zu den New York Dolls und The Heartbreakers...«
    »Tom Petty?«, fragt Jodie. »Von dem haben wir schon gehört.«
    »Nein, das war eine ganz andere Band«, erklärt Henry. »Die meisten von ihnen sind in den 80er Jahren gestorben.«
    »Flugzeugabsturz?«, fragt Bobby.
    »Heroin«, berichtigt Henry. »Jedenfalls waren da noch Television, Richard Hell and the Voidoids und Patti Smith.«
    »Die Talking Heads«, füge ich hinzu.
    »Weiß nicht. Zählst du die wirklich zum Punk?«
    »Sie waren dabei.«
    »Na gut.« Henry setzt sie auf die Liste. »Talking Heads. Und dann zieht die Szene nach England...«
    »Ich dachte, Punk fing in London an«, sagt Bobby.
    »Nein«, entgegnet Henry und schiebt seinen Stuhl zurück. »Natürlich glauben manche, ich eingeschlossen, dass Punk bloß der aktuelle Ausdruck von einem, na, einem Geist, einem Gefühl ist, dass einiges falsch läuft, um nicht zu sagen, alles läuft so falsch, dass wir nur sagen können Scheiß drauf, immer und immer wieder, ganz laut, bis uns jemand aufhält.«
    «Ja«, sagt Bobby ruhig, und das Gesicht unter seinen Stoppelhaaren leuchtet von beinahe religiöser Inbrunst. »Ja.«
    »Du verdirbst gerade einen Minderjährigen«, ermahne ich Henry.
    »Ach, darauf würde er auch von alleine kommen, ohne mich. Stimmt’s?«
    »Ich hab’s versucht, aber es ist nicht einfach hier oben.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, bestätigt Henry. Er ergänzt die Liste. Ich blicke ihm über die Schulter: Sex Pistols, The Clash, Gang of Four, Buzzcocks, Dead Kennedys, X, The Mekons, The Raincoats, The Dead Boys, New Order, The Smiths, Lora Logic, The Au Pairs, Big Black, PiL, The Pixies, The Breeders, Sonic Youth...
    »Henry, hier oben können sie sich keine dieser Gruppen besorgen.« Er nickt und schreibt unten auf die Seite Telefonnummer und Adresse von Vintage Vinyl. »Aber einen Plattenspieler hast du doch, oder?«
    »Meine Eltern haben einen«, sagt Bobby. Henry zieht eine Grimasse.
    »Was gefällt dir denn richtig gut?«, frage ich Jodie, die während des männlichen Verbrüderungsrituals, das zwischen Henry und Bobby stattfindet, aus der Unterhaltung gefallen ist.
    »Prince«, gibt sie zu. Henry und ich stoßen ein begeistertes Huul aus, und ich fange an, so laut ich kann 1999 zu singen, dann springt Henry auf, und wir tanzen mit erotischen Zuckungen durch die Küche. Laura, die uns gehört hat, rennt los, um die echte Platte aufzulegen, und mit einem Mal, einfach so, sind wir auf einer Tanzparty.
     
    Henry: Auf der Heimfahrt von Lauras Party zu Clares

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