Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
ihre Reise nach Disneyland in Florida war schon gebucht. Sie hatte gehört, dass die Attraktionen spektakulär waren und dass die Schlangen an diesen Wunderdingen manchmal so langsam vorangingen, dass es zu Stoßzeiten zwei Stunden dauern konnte, bis man dran kam. Bis dahin würde sie viele neue Freunde aus aller Welt gefunden haben.
*
Nach nur einer Stunde auf dem Bürgersteig gegenüber von Evas Haus, während Sandy mit einem fiesen Ostwind kämpfte, der drohte, ihr Zelt fortzuwehen, gesellte sich Penelope dazu, die glaubte, dass Engel unter uns weilten und Eva zweifellos »ein sehr ranghoher Engel« sei, der zwischen Himmel und Erde festhing. Und der Grund, warum sie im Bett blieb, sei, dass sie ihre Flügel verstecken müsse.
Als eine weiße Feder aus Evas Fenster schwebte und neben Sandys Füßen landete, sagte Penelope: »Siehst du! Ich hab’s dir doch gesagt!« Mit ehrfürchtiger Stimme fügte sie hinzu: »Das ist ein Zeichen dafür, dass dein persönlicher Engel dir über die Schulter schaut.«
Sandy glaubte ihr aufs Wort.
Als sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass sie Engel schon immer gemocht hatte, und »Hört der Engel helle Lieder« ihr Lieblingsweihnachtslied war. Ja, jetzt ergab alles einen Sinn: Daddy hatte sie »mein kleiner Engel« genannt, obwohl sie doppelt so breit war wie er. Inzwischen wog sie hundert Kilo und war damit gefährlich nah an der Gewichtsbegrenzung für ihren Klappstuhl.
Eva entdeckte Sandy und Penelope, nachdem sie aus einem tiefen, traumlosen Schlaf erwacht war.
Sie sah zwei Frauen mittleren Alters auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig, eine mit einer lustigen Zipfelmütze mit Glöckchen, die andere mit einem Fernglas, das auf ihr Fenster gerichtet war.
Beide winkten, und Eva winkte automatisch zurück – bevor sie sich duckte.
*
Zwei Meilen entfernt saß Abdul Anwar gähnend am Küchentisch und sah seiner Frau dabei zu, wie sie kleine Aluminiumbehälter mit Schraubdeckeln in seinen Henkelmann packte. Er betrachtete die Fotos von Eva und seinem Taxifahrerkollegen Barry Wooton auf der herausgerissenen Titelseite des Leicester Mercury.
Abduls Ehefrau Aisha kochte Chapatis fürs Abendbrot – obwohl Abdul nicht da sein würde. Gleich fing seine Nachtschicht an. Sie bereitete ihm immer eine Mahlzeit, die er dann aus seiner Sammlung silberner Aluminiumgefäße aß. Seine Kinder nannten es »Papas Picknick«.
Er sagte: »Aisha, vergiss nicht, eine Kopie des Artikels an unsere Familie zu schicken. Ich habe ihnen von meinem Freund Barry erzählt.«
Sie sagte: »Aber nicht mit der Post, ich scanne den Artikel. Du lebst in der Vergangenheit, Abdul.«
Während ihre beiden Hände mit einem Chapati beschäftigt waren, stand Abdul auf und legte die Arme um ihre Taille. Er blickte auf die flache Pfanne, in die seine Frau mit einem gebündelten Geschirrhandtuch den Teig drückte. Als sie ihn mit den Fingern umdrehte, schnappte er nach Luft und sagte: »Gesegnet sei Allah! Das ist die Frau im Bett, die Heilige!«
Aisha sagte: »Gelobt sei Gott!«, und stellte den Herd aus.
Gemeinsam untersuchten sie das Chapati. Die Ähnlichkeit mit Evas Gesicht war unheimlich. Die schwarzen und braunen Flecken stellten ihre Augen, Augenbrauen, Lippen und Nasenlöcher dar, das überschüssige Chapati-Mehl ihr Haar. Abdul holte die Titelseite und verglich die beiden. Weder Mann noch Frau konnten recht glauben, was sie da sahen.
Aisha sagte: »Lass uns warten, bis es abgekühlt ist. Vielleicht verändert es sich noch.«
Sie hoffte, dass es sich nicht änderte. Sie erinnerte sich, wie der indische Bäcker Elvis Presley in einem Donut entdeckt hatte. Der Laden war belagert worden. Dann, nach drei Tagen Lichteinwirkung, hatte Elvis eher wie Keith Vaz, der dortige Parlamentsabgeordnete, ausgesehen, der daraufhin seine Mehrheit bei der nächsten Wahl vergrößert hatte.
Als das Chapati kalt war, machte Abdul Fotos und filmte Aisha am Herd zwischen Evas Bild und dem, wie Anwar es später auf Radio Leicester nennen sollte, »gesegneten Chapati«.
Nachdem Abdul zur Arbeit gegangen war, wobei er vor lauter Aufregung seinen Henkelmann vergessen hatte, setzte Aisha sich an den Computer in der Nische unter der Treppe. Sie erstellte in zehn Minuten eine Facebookseite für »Die Frau im Bett«, dann richtete sie einen Link zu ihrer eigenen Seite ein und nannte diese »Eva – die Heilige erscheint in Aisha Anwars Chapati«. Sie verspürte einen wohligen Nervenkitzel, als sie die Taste drückte,
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