Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)
die Kissen und tat, als würde sie schlafen. Sie hörte Poppy ins Schlafzimmer zurückkommen, ein verärgertes Schnauben ausstoßen und in ihren Arbeitsstiefeln, die sie ohne Schnürsenkel trug, aus dem Zimmer stapfen. Die Stiefel polterten die Treppe hinunter, aus dem Haus und auf die Straße.
Brian, Brianne und Brian junior standen auf dem Treppenabsatz und diskutierten darüber, in welches Zimmer sie Poppys Gepäck schaffen sollten.
Brian junior klang ungewöhnlich leidenschaftlich. »Nicht in meins, bitte, nicht in meins.«
Brianne sagte: »Du hast sie eingeladen, Dad. Sie sollte in deinem Zimmer schlafen.«
Brian sagte: »Zwischen mir und Mum steht es nicht so gut. Ich schlafe im Schuppen, auf Mums Wunsch.«
Brianne sagte: »Oh, Gott! Lasst ihr euch scheiden?«
Und Brian junior fragte genau gleichzeitig: »Kaufen wir dann dieses Jahr zwei Weihnachtsbäume, Dad? Einen für uns im Haus und einen für dich im Schuppen?«
Brian sagte: »Was quatscht ihr da von Scheidung und Scheißweihnachtsbäumen? Ihr brecht mir gerade das Herz. Aber vergesst euren alten Vater! Warum sollte ausgerechnet er in den Genuss des Hauses kommen, für das er immer noch zahlt?«
Er hätte sich gewünscht, dass seine Kinder ihn zum Trost in den Arm nehmen. Er erinnerte sich, wie er als Kind Die Waltons gesehen hatte, während seine Mutter ihr Gesicht schminkte und sich für den jeweils neuesten »Onkel« schön machte. Brian erinnerte sich an den Geruch ihres Puders und daran, wie geschickt sie mit ihren kleinen Pinseln war. Bei der letzten Szene, wenn die ganze Familie sich gute Nacht wünscht, hatte er immer einen Kloß im Hals bekommen.
Doch stattdessen sagte Brianne verärgert: »Also, wohin mit dem Gepäck von dem durchgeknallten Weib?«
»Brian sagte: Sie ist deine beste Freundin, Brianne. Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass sie in deinem Zimmer schläft.«
»Mein beste Freundin! Lieber hätte ich eine inkontinente Pennerin mit psychischen Problemen als Freundin als diese …«
Brianne fehlten die richtigen Worte für ihre Abscheu. Beim Nachhausekommen hatte sie ihre Mutter im Bett vorgefunden, in einem vollkommen weißen Kasten, offensichtlich verrückt, und jetzt erwartete ihr Vater noch, dass sie ihr Zimmer mit dieser Blutsaugerin Poppy teilte, die ihr das erste Semester an der Uni versaut hatte.
Das Gepäck stand noch immer auf dem Treppenabsatz, als Poppy Brian anrief, um ihm zu sagen, dass »ein alter Mann mit grässlich vernarbtem Gesicht« ihr vom Kiosk gefolgt war, wo sie ihre Blättchen gekauft hatte. Sie hatte die Polizei gerufen und sich vor ihm in einem Park in der Nähe versteckt.
Brian sagte: »Das ist höchstwahrscheinlich Stanley Crossley, ein ganz reizender Mann, er wohnt am Ende unserer Straße.«
Brianne riss ihrem Vater das Telefon aus der Hand. »Sein Gesicht ist vernarbt, weil er fast bei lebendigem Leibe in einer Spitfire verbrannt ist. Schon mal vom Zweiten Weltkrieg gehört? Ruf die Polizei an und sag ihnen, du hast dich geirrt!«
Doch es war zu spät. Sie konnten schon die Sirenen draußen hören. Poppy unterbrach die Verbindung.
Vor Wut und Frust schlug Eva in die Kissen. Ihr Frieden war zerstört. Sie wollte die aufgebrachten Stimmen vor ihrem Fenster nicht hören, und auch nicht die Sirenen auf der Straße. Und sie wollte, dass dieses verrückte Mädchen keine fünf Minuten länger in ihrem Haus blieb. Der Stanley Crossley, den sie kannte, war ein zurückhaltender und höflicher Mann, der es nie versäumte, seinen Hut zu heben, wenn er Eva auf der Straße begegnete.
Einmal, erst im letzten Frühjahr, hatte er sich zu ihr auf die Holzbank gesetzt, die er in Gedenken an seine Frau Peggy aufgestellt hatte. Sie hatten ein paar banale Bemerkungen über das Wetter ausgetauscht. Dann hatte er aus heiterem Himmel über Sir Archie McIndoe gesprochen, den Chirurgen, der sein Gesicht rekonstruiert, ihm Augenlider, eine Nase und Ohren verpasst hatte.
»Ich war noch ein Kind«, hatte er gesagt. »Achtzehn. Ich war ein hübscher Junge gewesen. Es gab keine Spiegel in den Nissenhütten, wo ich und die anderen wohnten.«
Eva hatte gedacht, er würde fortfahren, doch er stand von der Bank auf, tippte sich an den Hut und setzte seinen Weg in die Stadt ungelenk fort.
Jetzt ließ Eva sich in die Kissen zurücksinken. Sie konnte Brian junior und Brianne im Zimmer nebenan zanken hören. Sie hatte Stanley, der nur etwa hundert Meter entfernt wohnte, besuchen wollen. Sie hatte vorgehabt, ihn zum Tee
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