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Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)

Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition)

Titel: Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Townsend
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»Meine Mutter ist schuld.«
    Ruby sagte verschnupft: »Du bist nach dem Filmstar benannt. Eva Marie Saint.«
    »Nach zwei Monaten hat er Schluss gemacht«, sagte Poppy, »aber das Tattoo ist geblieben.«
    Stanley nickte: »Ich werde es nie wieder erwähnen.« Er gab ein Hüsteln von sich, das als Satzzeichen diente, dann wandte er sich an Ruby und sagte: »Ah, Eva Marie Saint. Die Szene mit Marlon Brando. Die Schaukel, der Handschuh, ihr bezauberndes Gesicht.«
    Das Gespräch hatte sich gewendet.
    Alexander war der Letzte, der Evas Zimmer verließ.
    »Wenn du mich brauchst, ruf mich«, sagte er und sang: »I’ll come running.«
    Nachdem er fort war, bekam Eva den Song nicht mehr aus ihrem Kopf. Sie fing leise an zu singen. »Winter, spring, summer or fall …«
    Mitten in der Nacht, als alle anderen im Haus schliefen, schlich Poppy in Evas Zimmer. Die Wände waren vom Vollmond erhellt, und Poppy kroch zu Eva ins Bett.
    Eva bewegte sich, schlief aber weiter.
    Poppy legte ihr Gesicht an Evas Schulter, und ihren Arm um Evas Taille.
    Am Morgen spürte Eva, dass sie nicht allein war. Doch als sie sich umdrehte, sah sie nur noch die Delle im Kissen.

36
    Mr. Lin war ganz aufgeregt, als er Hos Handschrift auf einem Brief entdeckte, den er von seinem Postamt in einem Vorort von Peking abgeholt hatte. Vielleicht war es eine Karte anlässlich der Feiertage. Mr. Lin wusste, dass man in England die Geburt von Jesus Christus feierte – der, wie er gehört hatte, nicht nur der Sohn ihres Gottes war, sondern auch ein kommunistischer Revolutionär, der von den Machthabern gefoltert und exekutiert worden war.
    Er wollte damit warten, den Brief zu öffnen, bis er zu Hause war. Vielleicht würde er den Brief auch seiner Frau geben und sich an ihrem Gesicht erfreuen. Beide vermissten ihr Kind. Die Entscheidung, Ho nach England zu schicken, war ihnen nicht leicht gefallen, aber sie wollten nicht, dass er wie sie Fabrikarbeiter wurde. Sie wollten, dass Ho Schönheitschirurg wurde und viel Geld verdiente. Junge Chinesinnen überall auf der Welt schämten sich zusehends ihrer ovalen Augen und kleinen Brüste.
    Mr. Lin hielt an einem Stand, um ein lebendes Huhn zu kaufen. Er wählte eines, von dem sie mehrere Tage essen konnten, bezahlte und trug es dann, mit dem Kopf nach unten, zum Obst- und Gemüsemarkt, wo er eine Geschenkschachtel mit heiligen Äpfeln für seine Frau kaufte. Die Äpfel kosteten fünfmal so viel wie normale Äpfel, aber Mr. Lin mochte seine Frau wirklich sehr. Sie zankte fast nie mit ihm, ihr Haar war noch immer schwarz, und ihr Gesicht hatte kaum Falten. Traurig war sie nur, wenn sie von der Tochter sprach, die sie nie haben konnten.
    Er erreichte den Spielplatz am Fuße des Hochhauses, in dem er und seine Frau im siebenundzwanzigsten Stock wohnten. Er blickte nach oben und machte ihr Fenster aus. Er hoffte, der Fahrstuhl funktionierte noch.
    Als er, keuchend und außer Atem, in ihrer Wohnung ankam, erhob sich seine Frau von ihrem Stuhl, um ihn zu begrüßen.
    Er sagte: »Sieh, wer uns schreibt«, und reichte ihr Hos Brief.
    Sie lächelte beglückt und befühlte die bunte, rot, grün und goldene Weihnachtsbriefmarke wie ein kostbares Artefakt. »Es stellt die Geburt von ihrem Jesus dar«, sagte sie.
    Das Huhn kreischte und versuchte, sich zu befreien. Mr. Lin brachte es in die Küche und warf es ins Spülbecken. Dann setzten er und seine Frau sich einander gegenüber an den kleinen Tisch. Mrs. Lin legte den Brief zwischen sie.
    Mr. Lin nahm die heiligen Äpfel aus der Plastiktüte und legte sie neben Hos Brief.
    Seine Frau lächelte beglückt.
    Er sagte: »Die sind für dich.«
    Sie weinte: »Aber ich habe gar nichts für dich!«
    »Nicht nötig, du hast mir Ho geschenkt. Öffne du den Brief.«
    Sie öffnete ihn langsam und vorsichtig und überflog die ersten Zeilen. Dann hielt sie inne, und ihr Gesicht wurde zu Stein. Sie schob den Brief über den Tisch und sagte: »Du musst stark sein, Ehemann.«
    Mr. Lin schrie mehrmals auf, während er das Schriftstück las. Als er zum Ende kam, sagte er: »Poppy heißt Mohnblume. Ich mochte Mohn noch nie. Er ist ordinär und verstreut seine Samen viel zu leichtfertig.«
    Das Huhn kreischte.
    Mr. Lin stand auf, nahm ein scharfes Messer und einen Holzblock und durchtrennte den Hühnerhals. Er warf das Tier zurück ins Spülbecken und sah zu, wie das helle Blut in den Ausguss strömte.

37
    Silvester klingelte eine fremde Frau an der Tür und bat darum, Eva zu sprechen.
    Titania,

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