Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
Runde zu werfen. Jenen Vorwurf, der nur aus einem einzigen Wort besteht. Jenes Wort, das für Dexter mit einem Schlag alles verändern wird. »Angeblich.«
33
Heute, 20:08 Uhr
Dexter ist sichtlich verwirrt. Bill ebenfalls. Beide Männer mustern sie mit gerunzelter Stirn.
»Was meinst du mit angeblich ?«, fragt Dexter schließlich.
Julias Kiefermuskeln spannen sich an, ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Sie weiß, dass Kate die Wahrheit kennt.
»Hast du« – Kate wendet sich wieder an ihren Ehemann – »irgendwelche neuen Informationen über den Colonel bekommen, während du über ihren Vorschlag nachgedacht hast? Etwas, das noch deutlicher machte, was für eine Bestie dieser Kerl ist?«
Dexter schüttelt weder den Kopf, noch nickt oder blinzelt er. Er starrt seine Frau nur an, während er fieberhaft nach einer Antwort zu suchen scheint, bevor seine Frau sie laut aussprechen und ihm damit eine weitere Demütigung zufügen kann.
Kate grinst ihn triumphierend an. Zugegeben – nicht gerade die feine Art. Obwohl sie ihm verziehen hat, weidet sie sich an seiner Verlegenheit.
»Natürlich war es so, Schatz.« Dieser kleine Racheakt steht ihr zu, findet sie. Sie wird zeigen, dass er von der Frau, der er vertraut hat, schamlos hinters Licht geführt worden ist. Es wird ihm wehtun, aber der Schmerz wird schnell vergehen. Im Gegensatz zu Julias Lüge, die bereits seit über zehn Jahren existiert.
Kate hört regelrecht, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn drehen, als ihm dämmert, dass seine kroatische Quelle ein Betrüger war, ein Gaukler, ein weiterer bezahlter Schauspieler in einem raffiniert gesponnenen Komplott. Dexter starrt die Frau an, die das Drehbuch zu diesem Theaterstück geschrieben hat. Julia.
Dies ist der Moment, in dem der Groschen fällt. Ihm fällt tatsächlich die Kinnlade herunter.
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» Du warst die Quelle?«
Julia starrt Dexter reuelos an. »Ja.«
Seine Augen quellen förmlich aus den Höhlen, während er verzweifelt versucht, die Tragweite dieser Enthüllung zu begreifen. »Ich hatte dir schon auf dem College von Daniel erzählt?«, sagt er schließlich.
»Ja.«
»Und als du zum FBI gegangen bist, hast du dir die Berichte besorgt? Und dabei hast du herausgefunden, dass der Colonel derjenige war, der Daniel auf dem Gewissen hat?«
Kate sieht den kindlichen Ausdruck auf Dexters Gesicht. Das Gesicht eines erwachsenen Mannes, der sich verzweifelt wünscht, die Realität möge sich seiner Wahrnehmung beugen.
Julia sagt nichts.
Dexter starrt in sein Weinglas. Kate sieht ihm an, wie er die Erkenntnis in ihre Bestandteile zu zerlegen beginnt: Wenn es niemals einen heimlichen kroatischen Kontaktmann gegeben hat, bedeutet das, dass es auch niemals einen Mann beim Außenministerium gegeben hat, der ihn mit diesem Mann zusammengebracht hat. Was bedeutet, dass es niemals einen Bericht über Daniels Tod gegeben hat. Was bedeutet, dass …
»Colonel Petrovic hatte in Wirklichkeit gar nichts mit Daniels Tod zu tun, stimmt’s?«
Kate greift über den Tisch hinweg nach Dexters Hand und drückt sie.
»Wow«, stößt Dexter hervor. Er entzieht Kate seine Hand und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, als könne er die Demütigung nur ganz allein ertragen. »Wow.«
»Es tut mir leid«, sagt Julia. »Petrovic war trotzdem ein Unmensch. Er –«
Dexter hebt die Hand. »Moment«, sagt er und starrt Julia finster an. »Den Anruf des Außenministeriums, nach dem ich glauben sollte, dass der Colonel Daniel getötet hat, hast also du eingefädelt? Der Bericht über seinen Tod war genauso falsch wie der Beamte, der ihn mir übergeben hat, und dann hast du mich mit einem falschen kroatischen Kontaktmann zusammengebracht, der mir – wie lange? Zehn Jahre lang – falsche Informationen über den Colonel geliefert hat?«
»So ungefähr«, gesteht Julia.
Einen Moment lang sagt niemand etwas.
»Niko«, erklärt Julia dann, »heißt auf Kroatisch Niemand .«
Dexter bricht in hässliches freudloses Gelächter aus.
»Trotzdem muss ich klarstellen«, fährt Julia fort, »dass der Großteil der Informationen über den Colonel der Wahrheit entsprochen hat.«
»Nur eben nicht die Teile, die etwas mit Daniels Tod zu tun hatten. Und damit auch mit mir.«
Kate sieht wortlos zu Bill hinüber. Wahrscheinlich wusste auch er nichts von diesem Teil der Geschichte. Doch es scheint ihn nicht sonderlich zu kümmern. Für ihn ist dieser Nebenkriegsschauplatz lediglich ein netter Zeitvertreib. Er hat seine
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