Die Frau, die niemand kannte: Thriller (German Edition)
nach Mexiko geflogen – ein Trip, der sich als ihre letzte Auslandsreise entpuppen sollte. Sie hatte eine Reihe nicht besonders heimlicher Gespräche mit lokalen Politikern geführt, in der Hoffnung, die neuen Machthaber so auf ihre Seite zu ziehen – Generäle, Großunternehmer und Bürgermeister, die über kurz oder lang selbst versuchen würden, Präsident zu werden. Kate saß in begrünten Innenhöfen, inmitten von lila Bougainvilleen, die sich an weiß getünchten Wänden emporwanden, trank höllisch starken Kaffee aus leuchtend bunten Keramiktassen, die auf handgefertigten Silbertabletts serviert wurden, und lauschte ihren langatmigen Reden.
Dann kehrte sie zurück nach Washington, zu ihrem Ehemann und ihrem sechs Monate alten Erstgeborenen. Sie ging die G Street entlang, auf dem Rückweg von einem Mittagessen, als eine schwarze Limousine am Straßenrand anhielt und der Chauffeur das Fenster herunterließ.
»Señor Torres wäre erfreut, wenn Sie ihm einige Minuten Ihrer Zeit schenken würden.«
Kate wog ihre Möglichkeiten ab. Sosehr Torres inzwischen auch den Bezug zur Realität verloren haben mochte – er würde einer CIA-Agentin mitten in Washington nichts antun.
»Er wohnt im Ritz und stünde im Augenblick für ein Gespräch zur Verfügung.«
Kate stieg hinten ein und betrat fünf Minuten später die Lobby des Ritz, wo ein Leibwächter sie in Empfang nahm und zu Torres’ Suite bringen wollte.
»Kommt nicht infrage«, erklärte Kate. »Er kann sich in der Bar mit mir treffen.«
Der Señor gesellte sich in der Lounge zu ihr, bestellte eine Flasche Mineralwasser und erkundigte sich nach ihrem Befinden – eine kurze Gnadenfrist von etwa dreißig Sekunden, ehe er zu schwadronieren begann. Eine geschlagene halbe Stunde lang hörte sie sich seine Leidensgeschichte an und sein leidenschaftliches, wenngleich völlig abstruses Plädoyer, weshalb die CIA ihn bei seinen Ideen unterstützen sollte.
Kate zeigte sich zweifelnd und pessimistisch, jedoch sorgsam darauf bedacht, möglichst unverbindlich zu bleiben und ihn keinesfalls zu vergraulen. Sie kannte Torres seit zehn Jahren und wollte ihn nicht gegen sich aufbringen, es sei denn, es ließ sich absolut nicht länger vermeiden.
Torres bat den Kellner um die Rechnung, dann erklärte er Kate, er werde am nächsten Morgen nach New York zurückkehren und freue sich darauf, sie in dieser Angelegenheit so bald wie möglich noch einmal zu sprechen. Sie erwiderte, sie werde mit ihren Vorgesetzten Rücksprache halten.
Er nickte langsam, schloss die Augen, als sei er zutiefst dankbar. Ein »Danke« kam ihm allerdings nicht über die Lippen.
Kate stand auf.
In diesem Augenblick griff Torres in sein Sakko, zog etwas aus der Brusttasche und legte es wortlos auf den Tisch.
Sie blickte auf ein 7-×-13-cm-Hochglanzfoto. Sie beugte sich vor, um das gestochen scharfe Motiv zu betrachten, das offenbar mit einem besonders starken Teleobjektiv aufgenommen worden war.
Sie richtete sich wieder auf, ganz langsam, versuchte ruhig zu bleiben und sah den Mann im Sessel vor ihr an.
Torres starrte in die Ferne, als hätte die Drohung rein gar nichts mit ihm zu tun, als wäre er lediglich der Überbringer der Nachricht, als ginge es um eine hässliche Fehde zwischen Kate und jemand anderem.
21
Bill fuhr an Kate vorbei die steile, nicht gespurte Piste hinunter, die zwischen dichtem Wald auf der einen und einer von Begrenzungsstangen gesäumten Felsklippe auf der anderen ins Tal führte. Die schwarzen Spitzen der Stangen verrieten Kate, dass es sich um eine Piste mit höchstem Schwierigkeitsgrad handelte, die somit weit jenseits von Kates fahrerischem Können lag. Bill schien fest entschlossen, sie herauszufordern, noch eine Schippe draufzulegen. Aber vielleicht würde sie sich ja einfach weigern, sich darauf einzulassen, oder sie würde mitziehen und hoffnungslos baden gehen. Wie auch immer.
Kate kämpfte sich die Buckelpiste hinunter. Zwei furchtlose Teenager bretterten an ihr vorbei und waren innerhalb weniger Sekunden verschwunden, sodass sie allein mit Bill in der tiefen Stille eines steilen Snowboardhangs zurückblieb.
Sie arbeitete sich bis zu der Stelle vor, wo der Berg mit dem Horizont zu verschmelzen schien. Als sie sich der Klippe näherte, eröffnete sich ihr zwar ein Blick auf die verschneite Landschaft jenseits der Kuppe, doch der Abhang selbst war zu steil, um ihn erkennen zu können. Ein Gefahrenschild mit dem Piktogramm eines mit den Armen rudernden
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