Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mawer
Vom Netzwerk:
Aufmerksamkeiten eines fremden Mannes fürchtet, gegen ihren Willen zu diesem Umweg genötigt wurde.
    »Gleich da drüben, Mademoiselle«, beantwortet eine Frau ihre Frage. Auf einmal ist es nicht zu übersehen, das Schild ebenso wie der ein oder andere Fußgänger, der hinunter zur Métrostation geht. Ebenfalls nicht zu übersehen ist ein schwarzer Citroën, der unweit des Eingangs parkt; daneben stehen zwei Männer, die rauchen und die Passanten beobachten. Regenmäntel mit Gürteln und Filzhüte, aber im Grunde nichts anderes als eine Uniform. Bloß keine Panik. Bleib schön ruhig. Atme tief durch und geh langsam, aber entschlossen.
    Als sie sich den Männern nähert, halten sie einen Passanten an und lassen sich seine Papiere zeigen, befehlen ihm dann, die Tasche zu öffnen, die er bei sich hat.
    Geh selbstsicher. Erreg nicht ihre Aufmerksamkeit. Ignorier sie, wie du alles ignorieren würdest, das dich nichts angeht. Aber sie beobachten sie. Sie spürt förmlich, wie sie mit den Augen ihre Beine und Oberschenkel berühren, ihr den Hintern tätscheln. Ihr könnt mich mal , denkt sie und geht vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, zittrig vor Angst.
    Die Métrostation ist ein Refugium, ein Ort, wo sich die Anonymen versammeln mitten in dieser fremden Stadt, die nur noch ein Abklatsch ist von dem Paris, das sie kannte. Ein Plakat zeigt einen jungen Mann, der aus einer dunklen Türöffnung auf einen strahlenden und hoffnungsvollen Horizont blickt. Wenn du vorankommen willst , so der Wortlaut, arbeite in Deutschland . Sie wartet, ihren Koffer neben sich, auf die nächste Bahn zur Place d’Italie, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen ist, wieder auf Kurs, die Verwirrung vorerst besiegt.
    Als die Métro kommt, sind die Wagen überfüllt. Sie zwängt sich in das Gedränge und schiebt sich durch den Wagen, steigt über Beine und Füße, entschuldigt sich am laufenden Band. Jemand bietet ihr seinen Sitzplatz an – » Je vous en prie, Mam’selle«, sagt eine männliche Stimme freundlich –, und als sie sich umdreht, sieht sie die graugrüne Uniform, die schwarz-silbernen Rangabzeichen: ein deutscher Offizier, ein Hauptmann. Soll sie ablehnen oder annehmen? Gehört es zum Widerstandsgeist, die Besatzer zu meiden? Sie weiß, wie sie sich in Lussac verhalten soll, oder Agen oder Toulouse, aber hier in Paris?
    Der Zug biegt auf die Brücke und rattert über den Fluss. »Danke«, sagt sie und setzt sich, die Knie sittsam zusammen, die Augen geradeaus, während sie sich die ganze Zeit bewusst ist, dass der Deutsche neben ihr steht und sie beobachtet. Sonst blickt allerdings niemand sie an. Niemand interessiert sich für sie. Bloß eine junge Frau, eine gonzesse , die von einem Frisé beäugt wird. Sie ist in Sicherheit, vorläufig, unter dem wohlwollenden Blick eines deutschen Offiziers und umfangen von der Gleichgültigkeit der Stadt, ist sie in Sicherheit.
    II
    Die Adresse, die der Patron ihr gegeben hat, ist auf einer heruntergekommenen Straße nicht weit von der Place d’Italie, ein Viertel mit schmalen, ansteigenden Straßen und eng stehenden kleinen Häusern. Der pavé glänzt vom Regen. An der Ecke ist ein kleines Café, gleich neben einer ehemaligen Druckerei, von der jetzt nur noch eine mit Brettern vernagelte Hülle übrig ist. Die Besitzer sind fort, haben lediglich eine geisterhafte Spur von sich zurückgelassen, ihren Namen auf dem Firmenschild: Imprimerie Bertrand. Paris ist eine von Geistern bewohnte Stadt. Geister von jungen Männern, Geister von Juden, Geister von Kommunisten und Sozialisten. Ein Plakat verspricht tausend Francs Belohnung für Informationen über einen gesuchten »Terroristen«, doch ein langer Streifen ist herausgerissen worden, das Gesicht nicht mehr vorhanden. Ist sie eine »Terroristin«? Vermutlich ja. Sie stellt ihren Koffer vor Haus Nummer 45 auf den Bürgersteig, klingelt und wartet in dem Bewusstsein, dass sie womöglich von Leuten beobachtet wird, dass sie offen hier auf der Straße steht, ohne eine vernünftige Tarngeschichte zu haben. Und wenn niemand zu Hause ist? Was dann? Doch nach einer Weile hört sie drinnen schlurfende Schritte näher kommen, und eine Männerstimme ruft: »Wer ist da?«
    Alice erwidert leise und eindringlich, dicht an die Tür gebeugt: »Ich möchte zu Béatrice. Ich bin eine Freundin.«
    Ein alter Mann öffnet die Tür ein paar Zentimeter und späht durch den Spalt. Er trägt eine blaue Arbeitsmontur und eine schwarze Baskenmütze. Weiße

Weitere Kostenlose Bücher