Die Frau im Rueckspiegel
sie. Sie griff nach den Gehhilfen, stand auf. »Nein«, sagte sie rigoros. »Wir fahren nach München.«
Christiane lächelte angesichts der Gleichheit ihrer Ideen. Dennoch schüttelte sie den Kopf.
»Nein«, sagte sie ruhig. » Ich fahre nach München, du zu deiner Schwester, wie geplant.«
»Aber . . .«
»Kein Aber.« Christiane nahm den Koffer. »Komm. Ich fahre dich nach Berlin und dann direkt weiter nach München. Was bringt es denn, wenn wir zu zweit nach München fahren? Nichts. Ich verspreche dir, ich rufe dich an, sobald ich was weiß!«
Hanna stand unschlüssig da. »Aber ich habe doch keine ruhige Minute unter diesen Umständen.«
Christiane probierte es mit einer anderen Argumentation. »Am Ende erweist sich die ganze Aufregung als umsonst, und du verpaßt die Silberhochzeit deiner Schwester. Das wäre doch schade.«
»Ja, schon.«
»Und außerdem, mit deinem Fuß behinderst du die Suchaktion eher. Tut mir leid, das zu sagen, aber ohne dich bin ich flexibler.«
Hanna machte ein beleidigtes Gesicht. Christiane schämte sich ein wenig ob ihrer harten Worte, aber es war im Grunde so. Sie wußte nicht, was sie erwartete, und mit Hanna im Schlepptau würde alles nur langsamer gehen.
Wahrscheinlich waren Hannas Überlegungen in eine ähnliche Richtung gegangen, denn sie lenkte ein. »Also gut. Fahr mich zu meiner Schwester. Vielleicht ruft Rebecca ja auch in der Zwischenzeit schon an, und alles klärt sich auf.«
Das hoffte auch Christiane. Dennoch fuhr sie noch schnell bei sich vorbei, packte ein paar Sachen in eine Tasche, bevor es weiter in Richtung Berlin ging. Aber auch als sie den Berliner Ring erreichten, fehlte jede Nachricht von Anita oder Rebecca.
Christiane setzte Hanna bei ihrer Schwester ab. Sie half ihr noch beim Tragen der Koffer, doch die Einladung der Schwester auf eine Erfrischung lehnte sie ab. Es war jetzt sieben Uhr abends. Christiane konnte sich ausrechnen, daß sie auch ohne weiteren Aufenthalt erst mitten in der Nacht in München ankommen würde. Und wahrscheinlich brauchte sie auch eine ganze Weile, bis sie das Hotel fand, dessen Adresse Anita ihr aufgeschrieben hatte. Es würde eine lange Nacht werden. Aber das war Christiane egal, wenn sie nur Rebecca fand.
Um halb vier morgens betrat Christiane die menschenleere Hotelhalle. Sie schaute sich kurz um und ging dann zielstrebig zum Empfang.
»Ich hatte angerufen, wegen eines Zimmers. Mein Name ist Seidel.«
Der Mann an der Rezeption schaute in seinen Computer. »Ja, ich habe eine Reservierung für Sie. Ein Einzelzimmer.«
»Richtig.« Christiane lächelte ihr charmantestes Lächeln. »Ich suche übrigens eine Bekannte von mir. Wir wollten uns hier treffen. Könnten Sie mal nachsehen, ob sie eingetroffen ist und auf welchem Zimmer sie wohnt?«
»Tut mir leid, wir dürfen keine Auskünfte über unsere Gäste erteilen«, lautete die freundliche, aber abweisende Antwort.
Christiane schaute sich in der menschenleeren Halle um, wandte sich dann wieder dem Rezeptzionisten zu, lächelte verschwörerisch. »Aber es erfährt ja niemand. Bitte. Ich möchte meine Freundin überraschen. Seien Sie kein Spielverderber.«
Der Mann ließ sich nicht erweichen. »Tut mir leid, ich habe meine Vorschriften.« Er schob Christiane einen Bogen Papier hin. »Wenn Sie bitte die Anmeldung ausfüllen wollen.«
Sie füllte den Bogen aus und schob das Formular zurück. »Ach, wahrscheinlich beherrschen Sie nur die Bedienung des Computers nicht. Sonst würden Sie mir meine kleine Bitte nicht abschlagen«, versuchte sie es noch einmal.
Der Mann lächelte nachsichtig. »Durchschaubarer Trick.«
Christiane sah ein, daß sie so nicht weiterkam.
»Also gut, hören Sie. Ich habe etwas geflunkert. Die Frau ist nicht meine Freundin. Sie ist meine Chefin. Eine sehr schwierige Chefin! Und ich habe vergessen, ihr wichtige Unterlagen mitzugeben. Bisher scheint sie es noch nicht bemerkt zu haben, aber sobald das passiert, ist die Hölle los. Wahrscheinlich arbeitet Frau Reklin noch auf ihrem Zimmer, sie schläft nämlich nie, wissen Sie. Also wird sie jede Sekunde meinen Fehler entdecken. Aus diesem Grund muß sie diese Unterlagen so schnell wie möglich bekommen, sonst macht sie mich einen Kopf kürzer . . . und Sie wahrscheinlich auch, wenn sie erfährt, daß Sie mich nicht zu ihr gelassen haben.« Christiane schaute verzweifelt. »Ich verliere womöglich meinen Job!«
Der Mann sah Christiane skeptisch an. Es war deutlich, daß er dieser neuen
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