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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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Schwanz durch die Luft und biss zu. Als der Körper des Vogels erschlaffte, ließ sie den Kadaver fallen, putzte sich mit der Pfote die blutbefleckte Schnauze, warf Anouk noch einen letzten Blick zu und verschwand dann in der Hecke.
    Anouk wurde übel. »Das war nur eine Katze, die eine erfolgreiche Vogeljagd hinter sich hat. Nichts weiter«, beruhigte sie sich selbst. Folglich gab es auch keinen Grund, dem blutigen Schauspiel eine tiefere Bedeutung zuzuschreiben. Krähen, immer diese Krähen! Sie tauchten überall auf, so als ob sie sie überwachen würden.
    Anouk drehte sich um, blickte eine Weile auf den Spiralblock am Boden und hob ihn schließlich auf. Sie ließ sich auf dem Bett nieder, griff nach dem Kugelschreiber und setzte ihn entschlossen auf ein neues Blatt.
    »Also los! Wer auch immer du bist.«
    Schloss Hallwyl, 1746
    Schluchzende Frauen, kopflose Bedienstete, und jetzt auch noch die Rückkehr von Gerold. Johannes hielt es nicht länger im Schloss aus; er brauchte dringend frische Luft!
    Während er in Richtung Ställe ging, dachte er über seinen Bruder nach, aus dem er einfach nicht schlau wurde. Zu Désirées Totenfeier war er nicht erschienen, obwohl er doch ihr Oheim und Pate war, und jetzt, kurz vor Weihnachten, klopfte er wieder an seine Tür. Auch wenn es Gerold gut verbarg, Johannes war nicht so dumm, ihm seine Keuschheit, die er wie ein flammendes Banner vor sich hertrug, abzunehmen. Schon mehrmals hatten Weiber mit dicken Bäuchen an die Schlosspforte von Hallwyl geklopft und um Hilfe für sich und ihre ungeborenen Bastarde gefleht. Zwar hatte er immer alles gut vertuscht. Doch die Leute waren geschwätzig, und Gerüchte breiteten sich schneller aus als die Krätze. Sein Bruder musste endlich einsehen, dass sie, auch wenn sie die Herren dieser Gegend waren, nicht einfach tun und lassen konnten, was ihnen beliebte.
    Im Stall war es warm, die Luft geschwängert vom Geruch nach Pferdedung und Heu. Der Trakehner hob den Kopf, als er seinen Herrn witterte, und blähte die Nüstern. Johannes kraulte dem edlen Warmblüter die Stirn. Sicher sehnte er sich genauso sehr nach grünen Wiesen und Wäldern wie er selbst.
    Ein Geräusch schreckte Johannes aus seinen Gedanken. Huldrich tauchte hinter der Futterkrippe auf, rieb sich die Augen und blinzelte ihn erschrocken an. Der Taugenichts hatte vermutlich gerade ein Schläfchen gehalten, anstatt seiner Arbeit nachzugehen. Johannes seufzte. An dem Tag, an dem er den Krüppel in seine Dienste genommen hatte, musste er nicht recht bei Verstand gewesen sein. Doch halt, es war sein Bruder gewesen, der ihn darum gebeten hatte! Jetzt erinnerte er sich wieder. Er hatte sich damals noch darüber gewundert. Denn normalerweise verabscheute Gerold alles, was mit Krankheit und Siechtum zu tun hatte. Hatte sein Bruder womöglich eine besondere Beziehung zu dem Jungen? Und wirklich, wenn er ihn jetzt so betrachtete …
    »Hier seid Ihr! Gott sei Dank!«
    In der offenen Stalltür stand Bernhardine. Sie war weiß wie ein Totenhemd und nur mit ihrem Morgenmantel bekleidet, der sich im Sturmwind blähte. Die Haube war ihr vom Kopf gerutscht und baumelte ihr nun um den Hals.
    »Herrschaftszeiten, Madame! So schließt um Himmels willen die Tür, bevor der Schnee das Heu nässt.«
    Sie reagierte nicht auf seine Rüge, sondern stolperte in den Stall und blieb schwer atmend vor ihm stehen. Er sah Huldrich an und wies nur stumm mit dem Kopf zur Tür. Der Bub nickte, sprang davon und verschloss beim Hinausgehen das Stalltor.
    »Meint Ihr wirklich, Madame, dass Ihr in so einem Aufzug vor den Bediensteten erscheinen solltet? Ich finde …«
    Bernhardine hob die Hand. »Nicht«, keuchte sie, »hört mir lieber zu! Die Zwillinge haben die Pocken. Ihr müsst einen Arzt holen. Jetzt! Sofort!«
    Johannes’ Kiefer klappte nach unten. Er hatte ihre Worte zwar gehört, aber sein Verstand weigerte sich, deren Sinn zu erfassen. Er sah sein Eheweib an, wie sie mit wilden Locken und halb nackt vor ihm stand. Sah, wie sich ihr Mund öffnete und schloss, hörte aber nur den Wind ums Gemäuer heulen und das Knacken der Holzbalken im Giebel. Bernhardine griff nach seinem Mantel und zerrte daran.
    »Hört Ihr denn nicht? Ihr müsst einen Doktor holen!«
    Endlich erwachte Johannes aus seiner Erstarrung. Er trat einen Schritt zurück, und ihre Arme fielen herab.
    »Die Pocken?« Seine Stimme brach. »Seid Ihr denn sicher?«
    Bernhardine stand mit hängendem Kopf vor ihm. Tränen strömten über ihre

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