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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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gesehen?«
    Valerie schürzte die Lippen. »Das erste Mal muss ich so sechs Jahre alt gewesen sein.« Anouk war sprachlos. »Ich dachte damals, es sei ein Nachbarskind, und wollte mit ihm spielen. Aber es verschwand immer, sobald ich es angesprochen habe.«
    Anouk schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Ihre Großtante legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie war kühl, trotz der brütenden Hitze draußen und der stickigen Luft im Wohnzimmer.
    »Ich habe nie jemandem davon erzählt«, fuhr Valerie fort. »Ich wollte ja nicht für meschugge gehalten werden.« Sie kicherte. »Aber ich weiß, dass Viola das Kind auch gesehen hat. Sie machte einmal so eine Bemerkung. Ich kann mich aber auch getäuscht haben. Es tauchte ja auch nur auf, wenn ich in Seengen war, und in den letzten Jahren immer seltener. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich ihm bei irgendetwas helfen sollte, aber dafür nicht die richtige Person war.« Sie schüttelte seufzend den Kopf.
    »Und die Frau im roten Kleid? Siehst du die auch?« Anouk wagte kaum zu atmen.
    Ihre Großtante runzelte die Stirn. »Nein, Schatz, eine Frau habe ich nie gesehen. Nur dieses kleine Mädchen mit dem weißen Nachthemd und den roten Locken.« Sie griff nach Anouks Haaren. »Locken wie diesen! Und jetzt würde ich gerne etwas trinken, wenn es dir nichts ausmacht.«
    Anouk verließ ihre Großtante nur widerwillig. Am liebsten hätte sie sie weiter ausgefragt, um auch jede noch so kleine Einzelheit in Erfahrung zu bringen, an die sie sich erinnern konnte. Doch Valerie hatte sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Und als Anouk mit zwei Gläsern Orangensaft kurze Zeit später wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte, war ihre Großtante eingeschlafen. Ihr Kopf lag auf der Lehne des Sofas, und sie schnarchte leise. Sollte sie sie wecken? Sie musste unbedingt wissen, was sie noch alles gesehen und erlebt hatte.
    »Tati«, sagte sie leise und schubste ihrer Großtante behutsam an. »Dein Orangensaft.«
    Valerie öffnete die Augen. »Oh, das ist lieb, danke.« Sie griff nach dem Glas und nippte daran. »Heiß heute, nicht wahr?«
    Anouk nickte zerstreut. »Hast du dich nie gefragt, was es mit diesem Kind auf sich hat?«
    Valerie blinzelte. »Mit welchem Kind?«, fragte sie und strich ihr Kleid glatt.
    »Dem Kind, von dem wir eben gesprochen haben. Das Mädchen im weißen Nachthemd, mit den roten Locken, das immer bei den Brombeerbüschen steht.«
    Anouk wies mit der Hand zum Fenster.
    Valerie folgte ihrer Bewegung und schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Liebes. Ich habe dort noch nie ein Kind gesehen.«
    Anouk hätte gerne laut geschrien. Doch sie zählte leise bis zehn und mahnte sich zur Geduld.
    »Gerade eben«, sie betonte jedes einzelne Wort, »hast du von diesem Kind gesprochen, das sowohl von dir als auch von meiner Großmutter gesehen worden ist.«
    Valerie blinzelte und schien angestrengt nachzudenken. Sie schüttelte den Kopf.
    »Es tut mir wirklich leid, Anouk. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, davon gesprochen zu haben. Ich werde langsam alt, da vergisst man eben ab und zu ein paar Dinge.«
    Anouk stieß die Luft aus. Es hatte keinen Zweck. Die Tür zu Tatis Erinnerung war bereits zugefallen. Sie würde sich wieder öffnen, nur wusste man leider nicht wann. Die Altersdemenz schien immer rascher fortzuschreiten.
    Valerie studierte Anouks Gesichtsausdruck. »Bist du mir jetzt böse?«, fragte sie kleinlaut, und ihre Stimme zitterte dabei.
    Anouk nahm ihre Hand. »Aber nicht doch, Tati. Auf keinen Fall. Ich hätte nur zu gerne gewusst … aber das hat Zeit. Ruh dich aus, okay?«
    Ihre Großtante nickte und stellte den Orangensaft auf den Couchtisch. Anouk half ihr, die Beine auszustrecken. Sie waren dünn wie Streichhölzer und genauso leicht.
    »Ich bin übrigens heute Abend mit Max verabredet«, erklärte sie, »du musst also nicht kochen. Außer natürlich, der Belgier wäre hungrig – wovon ich ausgehe.«
    Valerie unterdrückte ein Gähnen. »Ist gut, Liebes. Ich freue mich, dass ihr beide, Max und du, ein Paar seid. Liebe ist etwas Kostbares.«
    Anouk schluckte. Von Liebe hatte Max noch nie gesprochen. Und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie wandte sich hastig ab, damit Valerie es nicht bemerkte. Doch ihre Großtante war bereits eingeschlafen.

    Anouk steckte sich die Stöpsel ihres MP3-Players in die Ohren und schaltete das Gerät ein. Sie war durcheinander und

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