Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
sich mit der Zeit aber wieder beruhigt. Nun, die von Morlots waren eben schon immer etwas … exzentrisch gewesen. Man hatte ihn ja auch vor einer Heirat mit Amandine gewarnt. Aber dass sogar Hexen aus dem Geschlecht der Morlots hervorgehen würden, hatte er doch nicht wissen können.
Das Päckchen! Beinahe hätte er es vergessen. Er griff in seine Westentasche und holte es heraus, entfernte den Bindfaden darum herum und faltete das brüchige Leder auseinander. Ein tropfenförmiger Perlenanhänger kam zum Vorschein. Franz Ludwigs Augenbrauen schnellten in die Höhe. Wer zum Teufel machte seiner Gattin solche Geschenke? Amandine hatte doch nicht etwa einen Galan? Er schüttelte den Kopf. Was für eine abstruse Idee! Sie war schließlich schon siebenundvierzig.
Franz Ludwig schürzte die Lippen und lehnte sich zurück. Ein schönes Schmuckstück, in der Tat. Und sicher nicht billig. Sollte er vielleicht …? Aber ja, warum denn nicht?
Er erhob sich, verließ das Zimmer und ging den Gang hinunter. Als er vor der Tür zu Amandines Schlafgemach stand, hörte er Cembalomusik. Sie spielte also wieder. Immerhin hatte sie das Klagen aufgegeben. Dieses ewige Gejammer um ihre Jüngste war ja nicht zum Aushalten gewesen! Franz Ludwig klopfte, und die Musik brach ab.
»Ja, bitte?«
Er trat ein. Amandine saß vor ihrem Spinett, die Augen gerötet. Vor ihr, auf dem Instrument, stand eine Miniatur Bernhardines, die diese im Alter von fünfzehn Jahren zeigte. Franz Ludwig schnaubte. Er hatte doch angeordnet, alle Bilder seiner Jüngsten zu verbrennen. Nichts sollte mehr an diesen Wechselbalg erinnern. Ein falsches Wort ins richtige Ohr, und der Name von Diesbach trüge für alle Zeiten einen Makel. Doch das gramverzerrte Gesicht seiner Gattin besänftigte seinen Ärger.
»Liebste, wie schön, dass es Euch besser geht. Seht her, ich habe ein Geschenk für Euch. Ich habe es extra für Euch anfertigen lassen, damit es Euch ein wenig tröstet.«
Er trat zu seiner Gattin und legte den Anhänger auf die Klaviatur. Amandine griff mit zitternder Hand nach dem Schmuckstück, warf aber nur einen flüchtigen Blick darauf und drehte es geistesabwesend zwischen den Fingern.
»Es ist reizend«, sagte sie tonlos. »Ihr seid zu gütig.«
Franz Ludwig machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht der Rede wert, Madame.«
Amandine nickte und betrachtete den Anhänger genauer. Dann runzelte sie plötzlich die Stirn, schauderte und griff sich ans Herz.
»Madame?« Franz Ludwig trat schnell näher. »Ist Euch nicht wohl?«
Sie schüttelte den Kopf und sah zu ihm hoch. »Es ist nichts, Monsieur.« Sie lächelte und presste das Schmuckstück an ihre Brust. »Habt vielen Dank!«
24
Seengen, 2010
S ie wollen mich wohl veräppeln.«
Der Polizist blickte von Anouk zu Max und wieder zurück, unterdrückte dann ein Gähnen und schüttelte den Kopf.
Es war Dienstagmorgen kurz nach sechs Uhr. Anouk und Max hatten die vergangenen Stunden damit verbracht, sich einen Schlachtplan auszudenken. Jetzt saßen sie mit unschuldiger Miene in dem kargen Büro der Seenger Polizei.
»Aber wo denken Sie hin, Herr …«, Anouk warf einen Blick auf das Namensschild des Beamten, »… Huggentobler. Nicht wahr, Max, genau so hat es sich zugetragen.«
Max nickte beflissen und wurde ein bisschen rot. Der Polizist nahm das Aussageprotokoll zur Hand und las es nochmals durch.
»Sie behaupten also allen Ernstes, dass Sie, weil ihnen Ihr Verlobungsring in den Abfluss der Halle gefallen ist, diesen aufgebrochen haben und in den Schacht hinabgestiegen sind, um das Schmuckstück wieder herauszuholen, und dabei ein Skelett gefunden haben?«
Anouk lehnte sich auf dem unbequemen Holzstuhl zurück. »Genau so ist es gewesen!« Sie lächelte Herrn Huggentobler gewinnend an. »Natürlich tut es uns außerordentlich leid, dass wir ein öffentliches Bauwerk beschädigt haben, aber sehen Sie … Verlobung bei Mondschein … ein Diamantring. Man kann seine gemeinsame Zukunft doch nicht mit dem Verlust eines solch symbolträchtigen Gegenstandes beginnen? Das verstehen Sie doch sicher?«
Anouks Augen füllten sich mit Tränen, und sie nestelte ein Taschentuch hervor. Dann schnäuzte sie sich kräftig die Nase und warf Max dabei einen warnenden Blick zu, als sie bemerkte, dass seine Mundwinkel verräterisch zu zucken begannen.
»Nun, ja, das heißt, nein, sicher nicht. Es ist nur … reichlich ungewöhnlich.« Der Polizist räusperte sich. »Aber wir müssen der Sache
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