Die Frau mit dem Muttermal - Roman
beordert.
Klaarentoft war bekannt als bester Fotograf der Truppe, und sein Auftrag bestand hier darin, so viele Fotos zu schießen, wie er nur konnte. Van Veeteren wusste, dass er die Anregung dazu aus einem anderen Film hatte, nämlich aus Blow up . Die Idee, die dahintersteckte, war, dass sich unter all den Gesichtern, die später im Fotolabor des Polizeipräsidiums langsam zum Vorschein treten würden, auch das des Mörders befände.
Ryszard Maliks und Rickard Maasleitners Mörder.
Er erinnerte sich daran, dass er den Film – der ansonsten aus einem ziemlich jämmerlichen Mischmasch bestand – dreimal gesehen hatte, nur um immer wieder mitzuerleben, wie das Gesicht eines Verbrechers aus der grünen Pracht eines englischen Parks herausvergrößert wurde.
Auch das eine Art Perversion, natürlich, und Klaarentoft hatte offenbar den Film nie gesehen. Er sauste zwischen den Gräbern herum und fotografierte nach Herzenslust, vollkommen unbekümmert von Van Veeterens Ermahnung, er solle versuchen, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erwecken. Dass er schließlich auch noch nicht weniger als zwölf Bilder von dem seine Arbeit verrichtenden Priester machte,
konnte nicht anders gedeutet werden, als dass er den eigentlichen Grund seines Einsatzes nie richtig begriffen hatte.
Andererseits war es natürlich eine ziemlich spärliche Schar, die Ryszard Malik zu seiner letzten Ruhe geleitete. Van Veeteren zählte vierzehn Personen – sich selbst und Klaarentoft eingeschlossen –, und im Verlauf der Zeremonie konnte er alle identifizieren, abgesehen von zwei Kindern. Er konnte auch keine taktvollen Zuschauer in gebührendem Abstand entdecken. Als der Regen einsetzte, gab er Klaarentoft ein Zeichen, dass er verschwinden konnte.
Eine gute Stunde später saß Van Veeteren endlich in der Bar bei Kraus und trank ein Glas Glühwein. Die Erkältung, die er in den letzten Tagen erfolgreich bekämpft hatte, hatte jetzt wieder Aufwind bekommen.
So schnell kriegt mich niemand mehr auf eine Beerdigung, gelobte er sich.
»Heute ist Samstag. Musst du das ausgerechnet heute machen?« , hatte er gefragt.
»Heute oder morgen. Findest du nicht auch, dass es besser ist, wenn ich es so schnell wie möglich hinter mich bringe?«
»Ja, sicher«, hatte er genickt und sich im Bett umgedreht. »Wir sehen uns heute Abend.«
Das war kein besonders ungewöhnliches Gespräch. Und auch kein unerwartetes. Während sie im Bus saß, dachte sie darüber nach. Sie war jetzt seit fünfzehn Monaten mit Claus Badher zusammen … vielleicht sogar schon seit sechzehn, das kam darauf an, welchen Maßstab man setzte, und vermutlich war es die beste Beziehung, die sie jemals gehabt hatte. Ja, zweifellos verhielt es sich so. Es gab Liebe und gegenseitige Achtung, gemeinsame Wertschätzungen und Interessen und alles, was man so erwarten konnte.
Frieden und Freude. Glück noch dazu. Alle ihre Freunde waren der Meinung, sie sollten weitermachen. Richtig zusammenziehen und so weiter. Das fand Claus auch.
Wäre da nicht diese kleine Irritation gewesen. Dieses kleine Körnchen, was sie abschreckte. Das vielleicht trotz allem anderen seine Wurzeln in einer Verachtung hatte und in diesem Fall dazu verflucht war, zu wachsen und zu gedeihen. Sie wusste es nicht. Verachtung für ihren Beruf … er achtete natürlich ganz genau darauf, sie nicht offen zu zeigen; wusste vermutlich nicht einmal selbst davon, aber dann und wann konnte sie sie nicht übersehen. Wie beispielsweise bei solchen kleinen Schlagabtauschen, die natürlich für sich allein gar nichts bedeuteten … von denen sie aber ahnte, dass sie mit den Jahren Unheil verkündende Tragweite bekommen könnten.
Claus Badher arbeitete als Devisenhändler bei einer Bank und war auf dem Weg nach oben. Sie selbst arbeitete als Kriminalbeamtin und war auf dem Weg … ja, wohin? Sie seufzte. Im Augenblick zu einer Villa draußen in Dikken, wo sie einen 52-jährigen Juristen treffen und ihn befragen sollte, was er beim Bund gemacht hatte.
Absurd? Natürlich war das absurd. Es war keine Frage, manchmal war sie auch der Meinung, dass Claus im Recht war. Vorausgesetzt, dass er wirklich so dachte …
Sie stieg aus dem Bus und ging die knapp hundert Meter zur Villa. An der Pforte wurde sie von zwei eifrig bellenden Boxerwelpen begrüßt. Sie blieb auf dem Kiesweg stehen, um sie zu streicheln. Dann schaute sie zur zweigeschossigen Villa mit den dunkelbraunen englischen Ziegeln und den grünen Fensterläden
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