Die Frau ohne Gesicht
Situation unter Kontrolle zu bekommen; in Frieds Augen lag außerdem unverhohlene Wut.
Schließlich wandte sich Fried an O’Rourke und hob die Augenbrauen.
»Aber, aber, Mr O’Rourke. Wie dramatisch Sie Ihre schockierenden Behauptungen vorbringen. Als legten Sie es darauf an, mich als Steuerbetrüger abzustempeln.«
Dann versicherte er, in seinen beiden Unternehmen sei immer alles mit rechten Dingen zugegangen, und er sei überzeugt, dass er eine legale Erklärung präsentieren könne, wenn man ihm Zeit lasse, sich mit diesen so polemisch vorgebrachten Angaben näher zu beschäftigen.
»Diese Veranstaltung ist der Diskussion über das neue Programm der Fair Rule gewidmet, und darauf möchte ich mich jetzt konzentrieren«, versuchte Fried das Thema zu wechseln.
Erneut brandete Lärm auf. Einige Reporter meldeten ihre Fragen an, andere gaben Frieds Antwort per Handy an ihre Redaktionen durch, und die restlichen debattierten über O’Rourkes Vorwürfe.
Fried und sein Parteisekretär blickten sich an. Lia sah, dass Gallagher mit den Lippen Worte formte. Vor den offenen Mikrofonen wollte er sie offenbar nicht laut aussprechen. Lia war sich nicht sicher, was er sagte. Vielleicht: Nicht weitermachen?
Arthur Fried sah wieder zu den anwesenden Reportern, die von der überraschenden Wende wie elektrisiert aufgesprungen waren. Sie forderten Frieds Kommentar zu O’Rourkes Unterlagen und Beschuldigungen.
»Ich danke Ihnen für Ihr Kommen«, sagte Fried mit harter Stimme. »Wir teilen Ihnen den Termin der nächsten Pressekonferenz in Kürze mit. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und den Segen des gerechten Gottes.«
Damit drehte er sich um und verließ den Saal. Gallagher folgte ihm.
Maggies Handy übertrug das Chaos, das entstand, als die Reporter Fried nachstürmten, während der Parteisekretär und der Saalaufseher sie aufzuhalten versuchten.
Journalisten jagen im Rudel.
34.
Die Information, dass dem Parteiführer Arthur Fried Unternehmensbetrug vorgeworfen wurde, stieg in allen britischen Medien zu einer der Hauptnachrichten auf. Ironischerweise war sie unter allen bisherigen Meldungen über die Fair Rule diejenige mit der größten Verbreitung.
Mari und Lia verfolgten im Studio, wie die Nachricht immer höhere Wellen schlug. Thomas O’Rourke hatte ganze Arbeit geleistet. Die Kopien, die er verteilt hatte, waren so gut beglaubigt, dass niemand behaupten konnte, sie seien gefälscht. Die Redaktionen der anderen Zeitungen mussten auf The Star zurückgreifen, um sich in das Thema einzuarbeiten, weil nur O’Rourkes Blatt die ganze Geschichte kannte. Die Website der Zeitung wurde so oft aufgerufen, dass am frühen Abend der Server zusammenbrach.
Am Abend schickte O’Rourke eine SMS an Lia: Ich bin heute sechzehn Mal interviewt worden. Der lustigste Tag seit langem.
Arthur Fried und die Fair Rule hüllten sich dagegen in Schweigen. Da die Fernsehsender ihn nicht interviewen konnten, brachten sie immer wieder Aufnahmen von der Pressekonferenz, auf denen zu sehen war, wie Frieds Gesicht erstarrte, als O’Rourke seine Frage stellte, und wie Fried und Gallagher stumme, finstere Blicke wechselten. Zum Schluss sah man Fried den Saal verlassen, während die Reporter hinter ihm herriefen.
Lia malte sich die Panik aus, die im Parteibüro herrschen musste. Hatte Fried überhaupt gewagt, sich dort blicken zu lassen?
Wie nehmen Stephen, Dorrie und die anderen die Sache auf?
Die Nachrichten von Sky News zeigten eine Aufnahme aus dem Parteibüro. Stephen und Simon huschten über den Bildschirm. Lias Stimmung schwankte zwischen Mitleid und Ärger. Die Gewissensbisse, die sie erwartet hatte, blieben aber aus.
Die Abendnachrichten der BBC um 21 Uhr begannen mit der Schlagzeile »Skandal um rechten Parteiführer« und ließen sich darüber aus, dass der bisher als untadelig geltende Arthur Fried schweren Vorwürfen ausgesetzt war. Die BBC hatte den Vorsitzenden der Handelskammer von Lincoln interviewt, der erklärte, bisher habe er nicht gewusst, dass Frieds Unternehmen weiterhin aktiv waren. Er stufte den Betrug als ungewöhnlich dreist ein.
»Fried war vor Jahren in unserer Region ein angesehener Unternehmer. Seine Firmen wurden über den üblichen Rahmen hinaus gefördert. Offenbar ist uns eine schlimme Fehleinschätzung unterlaufen«, sagte er.
Arthur Fried veröffentlichte seine Pressemitteilung am selben Abend um 22.38 Uhr. Darin erklärte er, er werde die Behörden bei ihren Ermittlungen unterstützen.
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