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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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dabei bist, hätten sie vielleicht eher den Mut dazu.«
    Elza überlegte. Im Einkaufszentrum gab es einen Schönheitssalon, der einen Hinterausgang hatte. Dieser zweite Ausgang führte in den Keller, zur Warenannahme. Nur wer schon einmal in dem Salon gewesen war, wusste davon.
    »Ich habe mir überlegt, dass ich diesen Weg nehmen würde, falls ich eines Tages den Mut aufbrächte, zu fliehen. Der Bengel vor dem Café ist strohdumm. Wenn ich mit den anderen Mädchen zur Schönheitspflege gehe und hintenrum verschwinde, kriegt er es garantiert nicht mit. Dann hätten wir eine Stunde Zeit, vielleicht anderthalb.«
    Anderthalb Stunden. Im Londoner Verkehr! Aber besser als nichts.
    »So machen wir es«, sagte Lia.
    Lia beobachtete durch den Türspalt, wie Elza zu den anderen Frauen zurückkehrte und verkündete, sie würden jetzt schnurstracks den Schönheitssalon besuchen.
    Der Vorschlag überraschte die Frauen, doch sie erhoben keinen Einwand. Sie sahen Elza wohl an, dass sie ihre Gründe hatte.
    Für Lia war es sonnenklar, dass sie von Daiga V ī tola die Position als inoffizielle Anführerin geerbt hatte.
    Die Frauen nahmen ihre Einkaufstüten und Mäntel und verließen das Café. Lia schlüpfte aus der Toilette und sah, dass Elza dem draußen wartenden Jungen etwas erklärte. Dann fuhr die ganze Schar mit der Rolltreppe zum Schönheitssalon.
    Paddy tat weiterhin, als kenne er Lia nicht, aber sie hörte ihr Handy piepen. Er hatte ihr eine SMS geschickt: Situation vorbei?
    Lia unterdrückte den Impuls, an seinen Tisch zu gehen und mit ihm zu reden. Womöglich wurden sie beobachtet. Sie kehrte auf die Toilette zurück und rief Paddy an.
    »Es ist noch nicht vorbei«, sagte sie und berichtete kurz, was sie von Elza gehört hatte.
    »Ich muss mit ihr in die Sangley Street fahren. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, dass du uns begleitest. Das würde Elza vielleicht nervös machen. Könntest du uns in kurzem Abstand folgen?«
    Paddy wog die Risiken ab, doch da sie wussten, dass Vanags erst abends zu dem Haus fuhr, sah er kein Hindernis. »Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass wir nicht wissen, wer sich in dem Haus aufhält. Vielleicht jemand, der gar nicht gefangen ist, sondern sich absichtlich versteckt hält und uns angreift. Möglich ist auch, dass in der Umgebung jemand das Haus bewacht«, merkte Paddy an.
    »Und diesmal bitte keine brillanten Einfälle«, fügte er hinzu.
    Sie verließen das Café und gingen in den Keller. Paddy folgte Lia in Sichtweite, als sie bei der Warenannahme nach der Tür zum Schönheitssalon suchte.
    Bald tauchte Elza auf. Sie lächelte, aber auf ihrem Gesicht lagen Angst und Nervosität.
    »Seit sechs Jahren will ich das hier tun, aber ich habe mich nie getraut«, sagte sie.
    Lia führte Elza rasch durch die unterirdischen Gänge, die das Einkaufszentrum mit der U-Bahn verbanden. Dabei vergewisserte sie sich, dass Paddy ihnen folgte.
    An der Station sah Elza genau zu, als Lia am Automaten eine Fahrkarte für sie zog.
    »Ich bin noch nie mit der Londoner Underground gefahren«, bekannte sie. »Wir werden immer im Auto chauffiert. In ihrem Auto, nicht im Taxi.«
    Nach drei Stationen mussten sie in einen Vorortzug umsteigen. Elza lauschte interessiert den Durchsagen und betrachtete die Werbeplakate. Lia musterte sie.
    Sie sieht nicht unglücklich aus, sondern eher resigniert. Gewöhnt man sich wirklich an fast alles?
    Leise, damit es niemand hörte, fragte sie Elza nach ihren Arbeitsbedingungen.
    Elza und die anderen Frauen in der Vassall Street waren nach London gekommen, um Geld zu machen. Von dieser Möglichkeit hatte ihnen eine Frau vorgeschwärmt, die aus England nach Riga zu Besuch gekommen war, eine lettische Prostituierte in eleganter Kleidung und mit teurem Schmuck. Erst später war ihnen klar geworden, dass Vanags die Frau geschickt hatte, um sie anzuwerben.
    »Ich weiß, dass viele Frauen zur Prostitution gezwungen werden, aber uns war bewusst, was wir in London tun sollten«, erzählte Elza.
    Sie hatten allerdings nicht geahnt, dass sie wie im Gefängnis leben würden.
    »Kazis will mehrmals in der Woche ficken, das muss man halt ertragen. Aber mit den kleineren Gangstern schlafen wir nicht. Kazis hat gesagt, das brauchen wir nicht. Er will uns nicht unnötig verschleißen.«
    Sie hatten kleine Rechte, für die es praktische Gründe gab. Die Zuhälter vermieden es, sie zu schlagen, damit sie für die Freier taugten. Aber einige Grenzen waren strikt zu beachten. Sie durften

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