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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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ī tola – Daiga hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen, weil sie nichts mehr mit ihrem Mann zu tun haben wollte.
    Henriete und Ausma litten keine Not, hatten aber große Angst.
    Ausma glaubte, dass Vanags vorhatte, sie zur Prostitution zu zwingen. Er hatte sich ein paarmal an sie herangemacht, aber die beiden Frauen hatten ihn durch ihre Schreie zum Rückzug gezwungen. Beim letzten Mal hatte Vanags erklärt, wenn Ausma ihm keine Freude bereite, werde er sie zu Geld machen.
    Lia sah auf die Uhr: Schon zwölf Minuten waren vergangen.
    Sie überlegte, was sie tun konnte. Würde Paddy es schaffen, die Großmutter und das Mädchen aus dem Haus zu holen? Dafür würde er Werkzeug brauchen, und wahrscheinlich würden die Nachbarn aufmerksam werden.
    »Das Problem ist: Wenn sie hierbleiben, findet Vanags vermutlich heraus, dass sie mit dir gesprochen haben. Aber wenn wir sie rausholen und die Polizei einschalten, wird sich Vanags womöglich an dir und den anderen Frauen in der Vassall Street rächen«, sagte sie.
    Elza senkte den Blick. Sie war blass geworden.
    »Ich glaube nicht, dass sie es lange für sich behalten können«, meinte sie und deutete auf die Tür.
    Henriete fragte, mit wem sie spreche.
    »Es ist eine finnische Frau, Lia, die euch helfen will. Sie hat euch gefunden«, antwortete Elza auf Englisch.
    Die Frauen im Haus schienen verstanden zu haben, denn die ältere Frau, Henriete, antwortete nun ebenfalls auf Englisch: »Danke, finnische Lia.«
    »Wir brauchen ein bisschen Zeit, um zu entscheiden, was wir tun«, erklärte Lia. »Sag ihnen, sie müssen noch eine kleine Weile warten, dann kommen wir zurück.«
    »Nein!«, erklang Ausmas Aufschrei hinter der Tür. »Wir bleiben nicht hier!« Auch sie sprach nun Englisch.
    Nachdem Elza sie mit einigen lettischen Worten zum Schweigen gebracht hatte, zog Lia sie beiseite.
    »Überrede die beiden, diesen einen Abend noch den Mund zu halten«, drängte sie. »Wenn Vanags ihnen heute Abend das Essen bringt, darf er nichts merken. Morgen holen wir sie raus.«
    Ich habe keine Ahnung, wie. Aber es muss getan werden.
    Es dauerte einige Zeit, die beiden zu überzeugen. Während Elza Henriete und vor allem Ausma beruhigte, rief Lia Mari an und erklärte ihr die Lage.
    Dann sah sie auf die Uhr: einundzwanzig Minuten. Sie hatten ihren Zeitrahmen überschritten.
    »Wir müssen jetzt hart sein«, mahnte sie.
    Elza nickte. Sie befahl den Frauen, still zu sein und zu warten.
    »Wir kommen wieder«, beteuerte Lia und wusste, dass sie damit ebenso sehr sich selbst tröstete wie die Frauen in dem verriegelten Haus.
    Auf dem Weg zum Bahnhof weinte Elza leise vor sich hin.
    Sie hatten schon sechs Minuten Verspätung, rechnete Lia und trieb Elza zur Eile an. Im Laufschritt erreichten sie den Bahnsteig.
    Als zwei Minuten später der Zug einlief, glaubte Lia, sie hätten noch eine Chance, das Einkaufszentrum in Oakley rechtzeitig zu erreichen. Aber nach nur sechs Minuten Fahrt blieb der Zug überraschend zwischen zwei Stationen stehen. Der Zugführer teilte mit, es gebe eine Verzögerung wegen Streckenarbeiten.
    Der Zeitplan war geplatzt.
    Lia bat Elza, ihre Freundinnen anzurufen und sie über die Verspätung zu informieren. Zum Glück befanden sie sich gerade auf einem oberirdischen Teil der Strecke. Da Elza kein Mobiltelefon hatte – das war ihr und den anderen Prostituierten verboten –, rief sie mit Lias Handy im Schönheitssalon an, wo eine ihrer Freundinnen ans Telefon gerufen wurde. Das Gespräch war kurz.
    »Sie kommen zurecht«, sagte Elza, nachdem sie aufgelegt hatte. »Der Junge lässt sich alles aufbinden. Aber wenn Olafs uns abholen kommt, bevor ich zurück bin, ergeht es mir schlecht.«
    »Olafs? Wer ist das?«
    Olafs Jansons war der Boss des Bordells in der Creed Lane. Er brachte Elza und ihre Freundinnen oft vom Einkaufszentrum in die Vassall Street zurück. Elza beschrieb ihn als rücksichtslosen Bodybuilder mit kahlgeschorenem Kopf.
    Der Glatzkopf. Natürlich muss der wieder auftauchen.
    Jansons gehörte zur zweiten Führungsebene der lettischen Bordellbesitzer. Er hatte als Aufpasser angefangen und sich zum Boss in der Creed Lane hochgearbeitet. Über ihm stand nur Vanags.
    »Ich weiß, dass er einige Menschen halb totgeprügelt hat«, sagte Elza. »Freier, die nicht zahlen wollten, und einen Muskelprotz von der Konkurrenz.«
    Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Lia hatte das Gefühl, ihr Kopf würde mit den anstehenden Problemen nicht schnell genug fertig.

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