Die Frau ohne Gesicht
Nachrichten im Internet.
Lia liegt neben ihr, Arthur Fried ist weit weg – aber auch ihn hat Mari fest im Griff.
43.
Ein Klirren weckte Lia schließlich auf. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blinzelte.
Ein Krankenzimmer.
Sie stellte fest, dass sie benommen war und in einem Krankenbett lag. Neben ihr saß Mari und frühstückte von einem senfgelben Tablett.
Mari merkte, dass Lia sich bewegte.
»Sorry. Die haben hier keine Plastikbecher. Nur klirrende Porzellantassen«, sagte Mari.
Lia lächelte und versuchte sich zu orientieren. Da kehrte die Erinnerung zurück.
Der Glatzkopf. Der Kofferraum. Die Schüsse, die Blutspritzer. Die Wohnwagen, die eigenartige Familie, die sich dort gebildet hatte. Die Rechtsanwältin Fiona Gould. Das Gefühl der Geborgenheit, sein Verschwinden.
Ein Zucken flog über ihr Gesicht.
»Alles ist in Ordnung«, sagte Mari schnell. »Hier hast du nichts zu befürchten. Der Arzt sagt, er wünschte, er wäre so gut in Form wie du.«
Lia starrte sie an. Als sich ihre Gedanken allmählich ordneten, lächelte sie erneut.
»Du solltest dir lieber Gedanken um deine Kondition machen«, sagte sie. »Die langen Tage im Studio, ohne frische Luft. Nicht gut.«
Lia hatte keinen Hunger, trank aber mit Maris Hilfe ein wenig Saft. Dann erkundigte sie sich nach der Lage auf dem Campingplatz.
Mari lieferte ihr eine Kurzfassung, damit sie sich keine Sorgen machte: Paddy und Berg waren noch dort, die meisten Frauen würden heute abreisen, die Pässe waren bald fertig, und Maggie organisierte den Transport. Wahrscheinlich würden Elza und Ausma noch ein paar Tage auf dem Campingplatz bleiben; Lia könne sich demnächst mit ihnen treffen, wenn sie wolle und sich wohl genug fühle.
»Alles ist in Ordnung. Und du brauchst jetzt nichts mehr zu tun.«
Eine Krankenschwester kam herein und sagte, der Arzt komme in etwa fünf Minuten, um nach Lia zu sehen. Die Schwester war zufrieden, als sie sah, dass Lia im Bett saß und mit Mari redete.
Mari verabschiedete sich.
»Rico oder einer von den anderen kommt vorbei. Du bist nicht lange allein.«
»Ich will nicht hierbleiben.«
»Ich nehme an, sie wollen dich noch eine Weile unter Beobachtung halten. Wenn sie versuchen, dich in ein Mehrbettzimmer zu verlegen, sag ihnen, du brauchst ein Zimmer für dich allein, ich übernehme die Kosten.«
Lia lachte.
»Vielleicht bleibe ich doch noch hier.«
Mari sagte, sie werde eine Sitzung mit einer Krisentherapeutin vereinbaren.
»Du reichst mir völlig«, meinte Lia. »Du und deine Kniffe.«
Doch Mari war nicht zu Späßen aufgelegt.
»Ich bin Psychologin, keine Psychiaterin. Außerdem bin ich ein Teil des Problems. Ich fühle mich ein Stück weit verantwortlich dafür. Nicht ganz und gar, denn es war ja dein eigener Wunsch, den Mord an Daiga V ī tola zu untersuchen. Aber ich habe Anteil daran. Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass du im Krankenhaus liegst.«
Lia winkte ab.
»Alles in Ordnung. Ich selbst habe mich hierhergebracht. Nun geh schon.«
Der Arzt war bereit, Lia sofort zu entlassen. Ihre Körperfunktionen waren die ganze Nacht hindurch stabil gewesen, und nun beantwortete sie alle Fragen klar und gut gelaunt, was zeigte, dass sie ihr psychisches Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
Lia betrachtete das Namensschild des Arztes und fragte, woher sein Name komme.
Alderite erzählte, er komme von den Philippinen.
»Was wissen Sie über mein Heimatland?«, fragte er.
Imelda Marcos’ Schuhe, sagte Lia. Auf den Philippinen hatten Frauen das Präsidentenamt bekleidet, wie in Finnland Tarja Halonen. Und Karaoke.
»Ihr liebt Karaoke, wie leider viele Finnen ebenfalls.«
»Mögen Sie keine Musik?«, fragte Alderite amüsiert.
»Doch. Aber Karaoke ist keine Musik, sondern eine geräuschvolle Dimension der Trunkenheit.«
Der Arzt lachte.
»Mir scheint, ich kann Sie guten Gewissens entlassen.«
Allerdings müsse Lia sich einer Nachbehandlung unterziehen.
»Sie sollten unbedingt mit einer Therapie beginnen, die möglicherweise langwierig sein wird. Die Stärke Ihrer Stressreaktion zeigt, dass Sie einer schlimmen Situation ausgesetzt waren. Damit wird man nicht so leicht fertig. Ihre Schwester hat mir gesagt, dass sie schon eine Krisentherapeutin gefunden hat.«
Meine Schwester?
Lia holte tief Luft, um Zeit zu gewinnen und ihre Antwort zu formulieren.
»Ich bin derselben Meinung. Im Übrigen ist meine Schwester ein derartiges Kraftpaket, dass ich irgendwann bestimmt die Hilfe eines Therapeuten
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