Die Frau ohne Gesicht
hätte.
»Und die Pfarrerweihe ist das Tüpfelchen auf dem i. Es ist völliger Unsinn, wirkt aber nach außen hin bedeutsam«, sagte Mari.
Jeder konnte Melkisedek-Priester in einer Mormonengemeinde werden. In Großbritannien gab es Dutzende dieser Gemeinden mit insgesamt Hunderten von Laienpredigern. Die einzige Voraussetzung für die Weihe war der Wunsch, in der Gemeinde mitzuwirken.
»Ist das nicht so durchsichtig, dass alle erkennen, worum es geht?«, wunderte sich Lia.
Mari meinte, die Medien und diejenigen, denen Fried ohnehin suspekt war, würden die Geschichte nicht schlucken. Aber sie würde vermutlich diejenigen beeindrucken, die Fried jetzt brauchte: die Anhänger der Fair Rule.
Es sei zudem ein geschickter Schachzug gewesen, vorab nichts von dem Interview verlauten zu lassen. Wenn es angekündigt worden wäre, hätte man in allen Medien über Frieds Absichten spekuliert. So aber sei es überraschend gekommen, und in den ersten Tagesnachrichten würden seine Worte lediglich wiederholt werden. Mit Deutungen sei erst später zu rechnen.
Mari hatte mit ihrer Vermutung ins Schwarze getroffen, stellte Lia fest, als sie die Level -Redaktion betrat. Dort sprachen alle über Fried.
»Pastor!« Sam lachte. »Die größte Farce, die es gibt.«
Doch als es in der Redaktionssitzung um die Themen für die nächste Ausgabe ging, rückte Fried an die Spitze. Der Politikredakteur Timothy Phelps erhielt die Aufgabe, eine kritische Perspektive zu suchen.
Schade, dass ich Tim die Perspektive nicht liefern kann. Sarah Hawkins’ Video wird erst nächste Woche publik gemacht.
Die Redaktion erschien Lia nach ihrer mehrtägigen Abwesenheit angenehm lebhaft. Wegen der bevorstehenden Feiertage waren alle in Eile, zumal alle neben der Arbeit auch noch mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt waren.
Lia hatte keine Zeit, an Weihnachten zu denken.
Sie arbeitete konzentriert am Layout und fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Sie hatte gut geschlafen. Falls sie von ihren gefährlichen Erlebnissen geträumt hatte, war es ihr jedenfalls nicht bewusst geworden.
Im Lauf des Tages kamen Sam und Timothy zu Lia, um ihr zu sagen, dass man sie in der Redaktion vermisst habe.
»Du bist übrigens nicht mehr Miss Finnland. Wir haben einen neuen Namen für dich«, fügte Sam hinzu.
»Aha. Und welchen?«
»Du bist jetzt Lia Detector.«
»So. Was bedeutet das denn?«
»Du bist ein lie detector , ein Lügendetektor. Eine Bullshit-Entlarverin.«
Sam erklärte, viele in der Redaktion hätten Lias Rückkehr sehnsüchtig erwartet, weil sie ihren Artikel gerade ihr zur Korrektur und zum Umbruch geben wollten. Sie legten Wert auf Lias Kommentare, weil sie nicht alles durchgehen ließ.
»Hmm. Bullshit-Entlarverin. Ich nehme an, das soll ein Kompliment sein«, meinte Lia.
»Das ist ein großes Kompliment, Miss Detector.«
Kurz nach Mittag rief Mari wieder an. Elza und Ausma würden den Campingplatz in Barrowside heute verlassen. Elza hatte eine kleine Wohnung für sie beide gemietet. Die Miete war recht hoch, aber sie würden nur eine Weile dort bleiben, bis sie mit Maris Hilfe etwas Billigeres fanden. Sie wollten sich noch einmal bei Lia bedanken.
Mari nannte ihr Elzas Telefonnummer – Elza hatte ein Mobiltelefon und einen Prepaid-Anschluss gekauft, der den Namen des Teilnehmers geheim hielt. Elza und Ausma mussten vorsichtig sein, damit Vanags’ und Jansons’ Komplizen nicht erfuhren, dass sie sich in London aufhielten.
Lia rief Elza in der Mittagspause an und sprach lange mit ihr und Ausma. Beide wirkten ruhig und erwartungsvoll. Fiona Gould hatte sie auf die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche vorbereitet.
»Wir lassen uns nicht so leicht unterkriegen.«
Lia sagte, Elza könne sich jederzeit bei ihr melden.
»Danke. Vielleicht gehen wir mal zusammen in ein richtig schönes Café. Und ich lade dich ein«, sagte Elza.
Um halb vier klingelte Lias Handy. Ein unbekannter Teilnehmer. Lia zögerte, meldete sich dann aber doch.
»Hier Chief Inspector Peter Gerrish.«
Oh, verdammt.
»Guten Tag, Mr Gerrish.«
»Gleichfalls. Wir möchten Sie zu Ihren Informationen befragen, beispielsweise über Kazimirs Vanags. Ich lasse sie in einer halben Stunde mit einem Wagen abholen.«
Sie könne nicht so plötzlich die Arbeit stehen und liegen lassen, protestierte Lia.
»Es liegt in Ihrem Interesse, sofort zu kommen«, erwiderte Gerrish. »Ich würde sie ungern verhaften lassen, aber wenn es sein muss, tue ich es.«
Lia rief
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