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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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Interviewer stellten abwechselnd Fragen, zunächst über Ausbildung und Berufserfahrung. Thomas nannte die Privatschule und die Universität, die er besucht hatte, und berichtete über seine beruflichen Stationen.
    Mari aß während des Interviews weiter, aber Lia brachte keinen Bissen herunter, obwohl alles routinemäßig abzulaufen schien.
    Nach etwa zehn Minuten war die Stimmung ausgesprochen entspannt. Die nächste Frage stellte Carol Penn: »Mr Thomas, für wie glücklich halten Sie sich?«
    Ein Lächeln huschte über Thomas’ Gesicht.
    »Für ausnehmend glücklich«, begann er. Er zählte seine beruflichen Erfolge auf, erwähnte seine Familie und sein Hobby, das Segeln, und sprach über die Befriedigung, die ihm seine Führungsrolle und seine Erfolge gaben.
    »Damit hatte er gerechnet. Früher oder später kommt immer eine derartige Frage, die Verwirrung stiften und dem Interviewten Antworten entlocken soll, die er sich nicht vorher zurechtgelegt hat«, erklärte Mari.
    Die nächsten Fragen schmeckten Thomas nicht. Sie betrafen die sinkende Auflage von Level , und als Robert Cansai fragte, wieso Thomas es nicht geschafft habe, die negative Entwicklung zu stoppen, wirkte er verärgert.
    »Die Auflage sinkt deutlich langsamer als unter meinem Vorgänger. Und man darf nicht vergessen, dass ich mit der alten Redaktion weiterarbeiten musste, ich konnte keine eigenen Leute mitbringen. Ich habe hart gearbeitet, um die Zeitschrift zeitgemäßer und konkurrenzfähiger zu machen, aber im Kreis der Mitarbeiter gibt es große … Widerstände gegen Veränderungen.«
    »Das ist nicht wahr!«, rief Lia. »Was für ein Arschloch! Wir bemühen uns seit Jahren, neue zugkräftige Ideen zu entwickeln.«
    »Hör zu«, mahnte Mari. »Jetzt wird es interessant.«
    »Ja, Mr Thomas, sprechen wir kurz über Ihre Redaktion. Wie ist es, sie zu leiten?«
    »Eine Herausforderung«, erwiderte Thomas. »Alle haben natürlich ihre speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten, die ich zu nutzen versuche, aber es mangelt an der Dynamik, die man für kommerziellen Erfolg braucht. Ich trage die Verantwortung für die Entwicklung der Zeitschrift weitgehend allein.«
    »Gibt es unter Ihren Mitarbeitern spezielle Talente? Ist jemand dabei, den sie gern mitnehmen würden, wenn Sie eine neue Stelle antreten?«
    »Eigentlich nicht … Timothy Phelps vielleicht. Er ist ein guter Politikredakteur, dürfte aber bei Level – eine Zeitschrift, die größenmäßig zu ihm passt – den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht haben.«
    »Wir haben eine Liste Ihrer Mitarbeiter zusammengestellt und würden Sie gern fragen, wie Sie ihr Potenzial einschätzen. Dadurch gewinnen wir einen Einblick davon, wie Sie mit den Schwächen und Stärken Ihres Teams umgehen«, erklärte Cansai. »Ist Ihnen das recht?«
    »Natürlich«, sagte Thomas. »Ich kenne alle durch und durch.«
    »Sam Levinson?«, begann Cansai.
    »Ein sehr angenehmer Untergebener und Kollege. Humorvoll. Aber mitnehmen würde ich ihn nicht. Seine Storys sind konventionell.«
    Lia starrte auf den Monitor. Was erlaubte sich der Kerl!
    »William Jasper, Ihr Redakteur in der Sparte Unterhaltung?«
    »Jasper ist in seinem Fach sehr kompetent. In gewisser Weise ist es schade, dass er die Unterhaltungsbranche gewählt hat, denn das lässt vermuten, dass ihm das Potenzial für anspruchsvollere Aufgaben fehlt.«
    Die Namensliste wurde weiter durchgegangen, und Lia hörte, wie ihr Chef einen Mitarbeiter nach dem anderen fertigmachte. Zu Beginn sagte er über jeden etwas Positives, fügte gleich darauf aber eine bissige Bemerkung an, die klarstellte, dass der Betreffende im Grunde nichts taugte.
    »Lia Pajala?«
    »Eifrig und beflissen. Aber ziemlich direkt. Um Karriere zu machen, bräuchte sie soziale Fähigkeiten. Und da sie die bisher nicht entwickelt hat …«
    Verbittert starrte Lia auf Thomas’ grinsendes Gesicht. Der Posten als AD war soeben in unerreichbare Ferne gerückt.
    »Da wir gerade von einer weiblichen Mitarbeiterin sprachen, in Ihrer Redaktion gibt es auffällig wenig Frauen, nur zwei von dreizehn. Bei vergleichbaren Zeitschriften liegt der Frauenanteil bei etwa vierzig Prozent, bei manchen noch höher. Warum ist das bei Level anders?«
    Matt Thomas überlegte eine Sekunde zu lange. Auf diese Frage war er nicht gefasst gewesen.
    »Das hat historische Gründe. Level war anfangs ausschließlich als politische Zeitschrift konzipiert. In der Politik sind Frauen traditionell schwächer vertreten, und auch im

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