Die Frau ohne Gesicht
politischen Journalismus stellen die Männer die Mehrheit.«
»Sie haben als Chefredakteur fünf neue Mitarbeiter eingestellt, darunter keine einzige Frau. Warum?«
Thomas’ Lächeln wirkte gezwungen.
»Das ist Zufall. Aber offen gesagt, auf dem Medienmarkt herrscht ein harter Konkurrenzkampf, und die schärfsten Storys liefern Redaktionen, die ordentlich Testosteron haben.«
»Die anderen Zeitschriften konkurrieren auf demselben Markt. Und dort arbeiten Frauen«, merkte Carol Penn an.
Thomas’ Miene verriet, dass er das Interview mittlerweile als Verhör empfand.
»Würden Sie uns Ihre Zusammenarbeit mit den Inserenten beschreiben?« Robert Cansai wechselte das Thema.
Thomas griff die Frage erleichtert auf. Lia dagegen schäumte vor Wut.
»Das chauvinistische Arschloch! Damit lasse ich ihn auffliegen.«
»Das geht nicht«, sagte Mari. »Wirklich schade, dass wir das Video nicht ins Internet stellen können. Es würde ein Hit werden. Ein Chef, der lächelnd seine Mitarbeiter herunterputzt. Und zum Schluss andeutet, dass Frauen nicht für harte Arbeit taugen.«
Zum Abschluss des Interviews durfte Thomas seine Visionen über die Zukunft der Medienbranche darlegen, damit er den Eindruck gewann, das Treffen sei positiv verlaufen.
Als Carol Penn das Interview für beendet erklärte, wirkte Thomas erleichtert.
»Wie es weitergeht, hängt von unserem Auftraggeber ab«, sagte Penn. »Wenn Sie in die engere Wahl kommen, kontaktieren wir Sie innerhalb der nächsten zwei Wochen. Wenn nicht, behelligen wir Sie nicht weiter. Ich möchte allerdings betonen, dass wir von Zeit zu Zeit Aufträge im Medienbereich bekommen. Insofern kann das Interview auch später noch nützlich sein.«
Matt Thomas bedankte sich zufrieden. Er stand auf, gab beiden Interviewern die Hand und verließ den Raum.
Mari stellte die Verbindung zu der Kamera im Foyer des Bürogebäudes her. Sie und Lia warteten schweigend, bis Thomas aus dem Aufzug trat, seinen Besucherausweis am Empfang abgab und nach draußen ging. Seine Schritte waren schneller als bei der Ankunft.
Er eilt zurück zur Arbeit. Er geht in die Redaktion, als wäre nichts gewesen.
»Danke«, sagte Lia. »Ich weiß weder, wie du das angestellt hast, noch, was ich davon halten soll. Aber trotzdem danke.«
»Gern geschehen. Vielleicht solltest du jetzt wieder in die Redaktion gehen«, meinte Mari.
Lia nickte.
»Du darfst mit niemandem darüber sprechen«, schärfte Mari ihr ein. »Mit absolut niemandem.«
»Verstanden«, sagte Lia.
11.
Es fiel Lia schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Was sie eben erlebt hatte, war verwirrend. Selten hörte man jemanden so unverblümt über Dinge reden, die in der Regel unter Verschluss gehalten wurden. Die kleine Gemeinschaft der Level -Redaktion erschien ihr plötzlich in einem neuen Licht. Und ihre eigene Zukunft wirkte darin nicht gerade rosig.
Noch verwirrender war Maris Rolle. Sie hatte gesagt, das sei ihre »Arbeit«. War es etwa ihr Beruf, Leute zu fingierten Interviews einzuladen? Mari hatte alles sorgfältig organisiert, eine exakt geplante Spionage-Operation.
Wer ist sie? Und wer sind die beiden Interviewer?
Sie rief Mari an.
»Wir müssen uns noch heute treffen.«
»Natürlich. Kommst du her?«
»Okay. Nach sechs.«
»Ruf mich an, wenn du unten bist. Die Eingangstür ist ab fünf Uhr geschlossen.«
Sam, der neben Lia saß und einen Teil des Gesprächs mitgehört hatte, sah sie neugierig an.
»War das diese Mari, die wir auf deiner Geburtstagsfeier kennengelernt haben?«
»Ja.«
»Sie ist reizend. Glaubst du, ich könnte sie mal anrufen?«
»Sorry, Sam, aber sie hat einen festen Freund. Schon seit langem.«
Lia legte keinen Wert darauf, dass Mari noch weiter in ihr berufliches Leben verwickelt wurde.
Es war bereits sieben Uhr, als Lia in der Park Street ankam.Mari holte sie am Eingang des Bürogebäudes ab und schloss im obersten Stock wieder die unbeschriftete Tür auf.
»Komm rein. Jetzt kann ich dir alles in Ruhe zeigen.«
Mari führte Lia durch die Räume, und Lia stellte verblüfft fest, dass sie fast die ganze Etage einnahmen. Das Konferenzzimmer, in dem sie am Mittag gesessen hatten, war einer der kleineren Räume. Insgesamt waren es acht.
Die drei kleinsten wirkten wie Büros und waren im gleichen Stil eingerichtet wie das Konferenzzimmer. Ein großer, helloranger Kreis auf dem Fußboden vor jedem Arbeitsplatz fesselte Lias Aufmerksamkeit.
Das sei ein dünner Teppich mit vielen Funktionen,
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