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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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außergewöhnliche Frau.«
    »Wie seid ihr euch eigentlich begegnet?«, fragte Lia.
    »Sie hat mir einen Auftrag erteilt. Ich darf nicht darüber sprechen, aber Mari als Auftraggeberin kann es dir natürlich erzählen, wenn sie will.«
    Seine nächste Frage überraschte Lia.
    »Würdest du mir etwas über Finnland erzählen?«
    »Natürlich, gern«, antwortete Lia.
    Sie beschrieb den skandinavischen Wohlfahrtsstaat, der Finnland in vielerlei Hinsicht noch war. Typisch für viele, die dort aufgewachsen waren, sei soziales Verantwortungsgefühl.
    »Das scheint sich allerdings allmählich zu ändern«, meinte sie.
    Die vorherrschende Gemütslage sei melancholische Gelassenheit, fuhr sie fort. Melancholisch insofern, als dass man sich keine Illusionen mache und nicht von großartigen, extravaganten Dingen träume. Gelassenheit deshalb, weil man ein gutes Leben führe. Die meisten Probleme seien lösbar. Das Land biete alle Möglichkeiten, aber der größte Teil der Bevölkerung verfolge alltägliche, praktische Ziele.
    Lia merkte, dass das Thema sie fesselte. Sie unterhielten sich über die Unterschiede zwischen Großbritannien und Finnland, und Lia analysierte die finnischen Frauen.
    Paddy hörte aufmerksam zu und sagte schließlich: »Ich frage mich, was Mari so außergewöhnlich macht. Liegt es an ihr selbst oder daran, dass sie Finnin ist?«
    Lia lächelte. Dieselbe Frage hat sich Martyn Taylor offenbar in Bezug auf mich gestellt.
    »Meiner Meinung nach ist Mari auch unter den finnischen Frauen ziemlich außergewöhnlich«, sagte sie.
    Beide mochten Mari. Dieser Gedanke löste bei Lia ein Gefühl aus, das ihr peinlich war: einen flüchtigen Anfall von Neid. Da saß sie nun neben einem attraktiven Mann, sie hatten Gelegenheit, über alles Mögliche zu reden und sich besser kennenzulernen, doch sie sprachen über Mari.
    Lia sah Paddy nicht an, war sich seiner Nähe aber sehr bewusst. Die kräftige Gestalt, der Pullover und der Mann, der darin steckte.
    Die plötzlich auftauchende Erinnerung stürzte sie in Verwirrung. Das Pullovergefühl. Der Grund, weshalb sie sich vor Jahren für London entschieden hatte.
    Paddy ist ein Mann, bei dem ich mich sicher fühlen könnte.
    Sie nickte ein paarmal, während Paddy sprach, um ihre Verwirrung zu verbergen.
    Ein Mann, mit dem ich eine Familie gründen könnte.
    Sie hatte nie ernsthaft über dieses Thema nachgedacht. Unter den Männern, die sie aufgegabelt hatte, war keiner gewesen, mit dem sie diesen Traum auch nur annähernd hätte verwirklichen wollen.
    Lia hatte Männerbekanntschaften gesucht, weil sie üben wollte, einem anderen Menschen nahe zu sein. Diese Fähigkeit hatte sie in dem Jahr verloren, als sie gelernt hatte, sich zu fürchten. Die kurzlebigen Beziehungen, die sie in London eingegangen war, bedeuteten für sie Sex und physische Selbstüberwindung, die Zügelung ihrer heimlichen Angst.
    Doch neben Paddy fühlte sie sich im Gleichgewicht.
    Sie warteten schon seit einer guten Stunde auf Vanags. Lia fragte sich, wie lange sie es noch aushalten würde, still dazusitzen, während ihr der Kopf schwirrte.
    Ihr war klar, dass ihr keine Zweierbeziehung oder Familiengründung mit Paddy vorschwebte. Sie dachte an einen noch unbekannten Mann in der Zukunft.
    Ich habe mich nie als Frau angesehen, die Mutter wird. Und Ehefrau. Aber vielleicht ist es möglich. Irgendwann.
    Sie hatte achtundzwanzig Jahre alt werden müssen, bevor sie die Vorstellung, eines Tages eine Familie zu gründen, überhaupt zuließ.
    Schließlich musste sie den Gedanken beiseiteschieben, denn Kazis Vanags verließ die Bar.
    Lia und Paddy folgten dem Wagen, obwohl sie bereits wussten, dass Vanags auf dem Heimweg nach Roxford war. Zu Lias Überraschung wohnte Vanags in einer wohlhabenden Gegend in einem gepflegten Reihenhaus mit Blick auf einen schmalen Fluss.
    »Was immer er tut, es wirft Geld ab«, stellte Paddy fest.
    Er vermerkte Vanags Zeitplan im Speicher seines Handys.
    »Das war’s für heute«, stellte er dann fest. »Also auf in die Kidderpore Avenue.«
    Auf der Fahrt nach Hampstead schwiegen sie. Beide waren erschöpft.
    »Schön hier«, sagte Paddy, als er vor dem Wohnheim hielt.
    »Wie geht es weiter?«, fragte Lia.
    Vanags’ abendliche Route sei nun bekannt, meinte Paddy. Über das weitere Vorgehen müssten sie mit Mari sprechen.
    Lia bedankte sich für die Fahrt und ging zum Wohnheim, ohne sich umzublicken. Sie hörte, dass Paddy den Motor erst anließ, als sie im Treppenhaus war.
    Lia lag

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