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Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pekka Hiltunen
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überraschend schwierig, den eigenen Blick neutral zu halten, wenn er den des Beschatteten traf. Man lerne, Blickkontakt zu vermeiden, indem man den Bewegungsrhythmus des Objekts beobachtete und sich einprägte, wie oft es sich umsah.
    Paddy lachte, als Lia probierte, seinem Blick auszuweichen. Auf Lia wirkte sein Lachen entspannend.
    Sie hatten genug Zeit, auch über andere Dinge zu reden. Lia hätte Paddys Jahre zurückliegende Gefängnisstrafe nicht von sich aus zur Sprache gebracht, doch da er selbst sie erwähnte, rückte sie mit ihrer Frage heraus.
    »Eins begreife ich nicht. Warum begeht ein Mann wie du einen Raubüberfall?«
    »Ich begreife es nur allzu gut«, erwiderte Paddy.
    Die Idee, den Geldtransport zu überfallen, stammte von einem ehemaligen Kollegen, der ebenso wie Paddy selbst keine kriminelle Vergangenheit hatte. Nur der dritte Mann, der dazustieß, war schon mehrfach wegen Raubüberfällen und Diebstahl verurteilt worden.
    »Wir waren zu nah am großen Geld. Das ist der Grund, weshalb Bankiers Einlagen veruntreuen und Investmentverwalter in die eigene Tasche wirtschaften. Wenn man für große Unternehmen und reiche Menschen arbeitet, sieht man, was für ein angenehmes Leben Geld ermöglicht. Wir haben es getan, weil wir ein schönes Leben wollten.«
    Sie hatten Thomas Cook, ein großes internationales Unternehmen, ausgesucht, damit der Verlust keine Armen traf.
    »Wir haben die Sache so sauber durchgezogen, wie ein Raubüberfall nur sein kann. Kein Herumfuchteln mit Waffen. Wir haben die Wächter der Transportfirma mit schwachem Chloroform betäubt und sie auf eine Matratze gebettet. Wir waren zu rücksichtsvoll, das war unser Verderben.«
    Sie hatten die Wachleute mit weich gefütterten Handschellen gefesselt, damit sie sich nicht die Haut aufschürften. Wegen der Polsterung hatte einer der Wächter sich viel schneller befreien können als erwartet. Schon nach sechs Minuten hatte er Alarm geschlagen. Und sie gerieten in die Polizeiblockade.
    »Ich hatte mich für einen guten Spieler gehalten. Risikobereitschaft ist der einzige Weg, im Spiel groß zu gewinnen. Aber so läuft das Leben nicht.«
    Im selben Moment änderte sich Paddys Tonfall.
    »Bleib ganz locker. Nicht auf das Haus starren! Da kommt gerade eine Frau heraus.«
    Lia ließ den Blick langsam zum Haus wandern und sah eine Frau, die sich ihnen vom Gehsteig aus näherte.
    »Guck dir die an«, sagte Paddy und holte einen großen, zusammengefalteten Stadtplan aus der Tasche an der Tür.
    Lia faltete die Karte auf. Paddy nahm sein Handy und hielt es so ans Ohr, dass seine Hand sein Gesicht verdeckte.
    Die Frau ging am Wagen vorbei. Lia betrachtete sie im Rückspiegel. Blond gefärbtes Haar, üppige Formen, langer Mantel, klappernde Absätze.
    »Eine von ihnen?«, fragte sie.
    »Dieselbe, die ich gestern gesehen habe. Mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit eine osteuropäische Prostituierte, würde ich sagen.«
    »Woran willst du das erkennen?«
    Am Gesamteindruck, erklärte Paddy. In seiner Zeit als Personenschützer habe er immer wieder Prostituierte für seine Schützlinge besorgen müssen.
    »Es gibt Kunden, die meinen, die eigentliche Aufgabe eines Leibwächters bestehe nicht darin, ihre Sicherheit zu gewährleisten, sondern ihnen rund um die Uhr zu beschaffen, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Von Drogen bis zu Prostituierten.«
    Lia sah, dass die Frau einen kleinen Eckladen betrat.
    »Können wir mit ihr reden?«
    Paddy starrte sie verwundert an.
    »Unter welchem Vorwand? Wir haben die Aufgabe, Kazis Vanags zu beschatten, und wenn die Frau ihn kennt, würde er bald erfahren, dass er observiert wird.«
    »Okay, okay. Es geht nur alles so langsam. Mit dieser Methode dauert es doch Wochen, ehe wir weiterkommen.«
    »Herzlich willkommen im ersten Teil deines Studienprogramms. Langsamkeit ist oft die Voraussetzung für Erfolg.«
    Sie warteten schweigend. Nach einer Weile kam die Frau zurück. Sie steckte sich eine Zigarette an und ging gemächlich zu dem Haus, aus dem sie gekommen war. Ganz offensichtlich hatte sie keine Lust, sich zu beeilen.
    Als die Frau an ihrem Wagen vorbeikam, zeigte Lia Paddy ein Ziel auf dem Londoner Stadtplan. Diesmal warf die Frau einen Blick auf sie, ließ aber kein weiteres Interesse erkennen.
    Vor dem Haus trat sie die Kippe aus und ging hinein.
    »Ich habe das Gefühl, dass wir etwas herausfinden könnten, indem wir mit ihr und den anderen Frauen sprechen«, beharrte Lia.
    »Vielleicht. Aber dazu haben wir

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