Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Bewässerung führte Herr Haupt in seiner ›Weinhalle‹ und seinem ›Weinberge‹ ein: den künstlichen Regenerzeuger . In der Höhe unter dem Dache liegen vier lange kupferne Rohrstränge, die in Entfernungen von einem halben Meter fein gelocht sind. Die durch die Öffnungen nach oben austretenden aufsteigenden feinen Wasserstrahlen treffen gegen kleine runde Siebe aus Fenstergaze und werden beim Durchtritt durch dieselben zu feinen Fontainen zerstäubt: ein tüchtiges Durchspritzen mittels der Gummischläuche erfordert immer einige Stunden; aber nur einen Hahn braucht man zu öffnen und im ganzen weiten Hause rieselt ein sanfter, erfrischender Regen aus der Höhe auf Rebstöcke, Erdreich und Granitplattenstege gleichmäßig hernieder. Die ohne jede etwaige künstliche Heizung einzig durch die natürlichen Eigenschaften des Glashauses bewirkte Steigerung der Temperatur läßt sich auf 8 bis 10 Grad Reaumur über die der äußeren Luft bringen. Um die Stöcke vor dem verderblichsten und dem gefährlichsten Gegner, der Reblaus, falls sie sich einmal zeigen sollte, zu schützen, genügt es, die Drainröhren zu schließen und alle Hähne der Wasserleitung zu öffnen. Der dadurch bewirkten Unterwassersetzung der Stöcke widersteht dieser Feind bekanntlich nicht. Gegen Sturm, Kälte, Fröste, überflüssigen Regen schützen den künstlichen Weinberg Glasdach und Wände; gegen etwaigen Hagelschlag seine Drahtgitter über denselben; gegen Dürre und Trockenheit die künstliche Regenvorrichtung. Der Winzer eines solchen ›Weinbergs‹ ist sein eigener Wettermacher und kann der Gefahren aller der unberechenbaren Launen und Tücken der ›gleichgültigen‹ oder grausamen Natur lachen, welche die Frucht aller Mühen und Arbeiten des Weinbauers mit Vernichtung bedrohen.
Was Herr Haupt erwartet hatte, traf vollkommen ein. Die Weinstöcke gediehen in dem gleichmäßigen warmen Klima vortrefflich. Die Trauben reiften bis zur vollen Edelreife aus und ergaben schon im Herbst 1885 einen Most, der an reichlichem Zucker- und geringem Säuregehalt den im Rheingau allgemein erzielten Mosten nicht nachstand. Ebenso gediehen die Trauben im nächsten Jahre und in dem ungünstigen Jahre 1887 vortrefflich. In diesem Raume lassen sich, wenn die Stöcke ihre volle Höhe von 5 Meter erreicht haben und bis zur Spitze Trauben in strotzender Fülle tragen, jährlich etwa 20 Hektoliter Wein erzeugen und die Selbstkosten einer Flasche edeln Weines werden nicht mehr als 40 Pfennig betragen.
Kein Umstand ist abzusehen, welcher den vollständig fabrikmäßigen Betrieb dieses neuen, die höchsten und gleichmäßigsten Erträge verheißenden Weinbaues im großen verhindern könnte. Glashäuser von solcher Art wie hier über einer Bodenfläche von 1 / 5 Morgen lassen sich mit gleichen Ventilations- und Bewässerungs-, Drainage- und Regeneinrichtungen zweifellos auch über morgengroßen Grundstücken errichten. Auch in ihnen wird die Vegetation schon einige Wochen früher beginnen als im Freien, werden die Reben gegen Maifröste, Regen, Kälte während der Blüte, gegen Dürre während des Wachstums der Beeren, gegen naschende Vögel und Traubendiebe, gegen Nässe während des Reifens, gegen die Reblaus während des ganzen Jahres geschützt sein und bis November, Dezember am Stocke hängen. In seinem 1888 dem ihn besuchenden Verein zur Beförderung des Gartenbaus gehaltenen Vortrag, dem ich in dieser Schilderung des Hauptschen ›Weinbergs‹ manches Technische entnommen habe, eröffnete der Erfinder und Begründer desselben zum Schluß noch diese lockende Perspektive in die Zukunft: Da nun dieser Weinbau in ganz Deutschland, namentlich aber auch auf sonst unfruchtbarem, sandigem und steinigem Boden (wie zum Beispiel dem schlechtesten märkischen), der urbar gemacht und bewässert werden kann, möglich ist, so erhellt daraus das große Landeskulturinteresse, welches der ›Weinbau unter Glas‹ bietet. Ich möchte diese Kultur als ›Weinbau der Zukunft‹ bezeichnen."
Der Verfasser schildert dann, wie auch der aus den Trauben gewonnene Wein das höchste Lob der Sachkenner gefunden habe, und fügt hinzu: "daß der Weinberg auch noch genügenden Raum zum gleichzeitigen Betriebe anderer lohnender Neben- oder Zwischenkulturen gewähre. So ziehe Herr Haupt zwischen je zwei Rebstöcken noch immer einen Rosenstock, der im April und Mai die reichste Blütenfülle biete, und an den Ost- und Westwänden Pfirsische an Spalieren, deren
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