Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
davor bewahren, Handlungen zu begehen, die zu seinem Nachteil gereichen. Selbstzucht und Kenntnis des eigenen Wesens besitzen die Männer und Frauen der künftigen Gesellschaft in viel höherem Grade als die der heutigen. Die eine Tatsache, daß jene blöde Scheu und lächerliche Heimlichtuerei, über geschlechtliche Dinge zu sprechen, verschwindet, wird den Verkehr der Geschlechter weit natürlicher gestalten, als dies heute der Fall ist. Stellt sich zwischen zwei Menschen, die einen Bund schlossen, Unverträglichkeit, Enttäuschung oder Abneigung heraus, so gebietet die Moral, die unnatürlich und darum unsittlich gewordene Verbindung zu lösen. Und da alle die Verhältnisse verschwinden, die bisher eine große Zahl Frauen entweder zur Ehelosigkeit oder zum Verkauf ihres Körpers verurteilen, so kann die Männerwelt kein Übergewicht mehr geltend machen. Andererseits hat der gänzlich veränderte Sozialzustand die vielen Hemmungen und Störungen beseitigt, die heute das Eheleben beeinflussen und es so häufig zu seiner Entfaltung nicht gelangen lassen oder gänzlich unmöglich machen.
Die Hemmungen, Widersprüche und Widernatürlichkeiten in der heutigen Stellung der Frau kommen immer mehr zum Bewußtsein weiter Kreise und finden in der sozialen wie in der Romanliteratur lebhaften Ausdruck; oft in verfehlter Form. Daß die heutige Ehe immer weniger ihrem Zwecke entspricht, leugnet kein Denkender mehr, und so braucht man sich nicht zu wundern, daß selbst Personen die Freiheit der Liebeswahl und freie Lösung des eingegangenen Verhältnisses natürlich finden, die im übrigen nicht geneigt sind, daraus die Konsequenzen für eine Veränderung unseres jetzigen Sozialzustandes zu ziehen; sie glauben, nur den bevorrechteten Klassen die Freiheit im Geschlechtsverkehr vindizieren zu sollen. Mathilde Reichhardt-Stromberg äußert zum Beispiel in einer Polemik gegen die frauenemanzipatorischen Bestrebungen der Schriftstellerin Fanny Lewald folgendes:
"Wenn Sie (F. L.) die Forderung aufstellen der vollständigen Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne im sozialen und politischen Leben, so muß notwendig George Sand auch recht haben in ihren Emanzipationsbestrebungen, die auf nichts weiter hinausgehen als das, was der Mann seit längst unbestritten besaß. Denn es ist schlechterdings kein vernünftiger Grund aufzufinden, weshalb allein der Kopf und nicht auch das Herz der Frau an dieser Gleichberechtigung teilnehmen und frei sein soll, zu geben und zu nehmen wie der Mann . Im Gegenteil: Soll das Weib seiner Natur nach berechtigt und dann auch verpflichtet sein – denn wir sollen das uns gegebene Pfund nicht vergraben –, die Fasern des Hirns bis aufs äußerste anzuspannen zum Wettlauf mit den Geistestitanen des anderen Geschlechts, so muß es auch das Recht haben, ganz wie diese zur Erhaltung des Gleichgewichtes den Blutumlauf des Herzens zu beschleunigen, auf immer welche Weise es ihm angemessen scheint . Denn wir lesen alle doch ohne die geringste sittliche Entrüstung zum Beispiel von Goethe – um nur gleich den Größten als Beispiel zu wählen –, wie er oft und immer wieder seines Herzens Wärme und den Enthusiasmus seiner großen Seele an eine andere Frau verschwendete. Der Einsichtsvolle findet das nur natürlich, eben seiner großen schwer zu befriedigenden Seele wegen, und nur der beschränkte Moralist hält sich tadelnd dabei auf. Warum also wollen Sie spotten über die großen Seelen unter den Weibern!... Nehmen wir einmal an, das ganze weibliche Geschlecht bestände ohne Ausnahme aus George Sandschen großen Seelen; jede Frau sei eine Lukretia Floriani, deren Kinder alle Kinder der Liebe, die diese Kinder aber auch alle mit echt mütterlicher Liebe und Hingebung sowohl, als mit Einsicht und Verstand erzöge. Was würde aus der Welt dabei werden? Es unterliegt keinem Zweifel, die Welt könnte dabei fortbestehen und Fortschritte machen wie heute und könnte sich vielleicht ausnehmend wohl dabei befinden ."
Aber warum sollen dieses nur die "großen Seelen" beanspruchen können und nicht auch die anderen, die keine "großen Seelen" sind? Konnten ein Goethe und eine George Sand, um diese zwei unter den vielen, die gleich ihnen handelten und handeln, herauszunehmen, den Neigungen ihres Herzens leben, veröffentlicht man namentlich über Goethes Liebesaffären halbe Bibliotheken, die von seinen Verehrern und Verehrerinnen mit einer Art andächtiger Verzückung verschlungen werden, warum bei
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