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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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einen letzten Versuch zu wagen; aber sie fürchtete vielleicht weniger, bei diesem Versuch zu scheitern, als noch eine der Wunden zu empfangen, die für ihr Herz so schmerzlich waren, daß ihr aller Mut genommen war. So weit war ihre Mutterliebe nun gekommen. Sie liebte ihre Tochter, aber fürchtete sie, bangte, einen Dolchstoß zu erhalten, und ging ihm entgegen. Die Mutterliebe ist in zärtlichen Herzen so groß, daß eine Mutter, ehe sie bei der Gleichgültigkeit angekommen ist, den Tod oder irgendeine der großen Mächte, die Religion oder die Liebe, gefunden haben muß, auf die sie sich stützen kann. Seit sie aufgestanden war, hatte das unselige Gedächtnis der Marquise ihr mehrere Geschehnisse von der Art zurückzurufen, die anscheinend belanglos und doch im seelischen Leben so bedeutungsschwer sind. In der Tat enthüllt eine Gebärde manchmal eine ganze Tragödie, der Tonfall eines Wortes zerreißt ein ganzes Leben, ein gleichgültiger Blick tötet die glücklichste Liebe. Die Marquise d'Aiglemont hatte zu ihrem Unglück zu viele solcher Gebärden gesehen, zu viele solcher Worte gehört, zu viele solcher Blicke, die der Seele so gräßlich sind, ausgestanden, als daß ihre Erinnerungen ihr hätten Hoffnung geben können. Alles bewies ihr, daß Alfred sie in dem Herzen ihrer Tochter verdrängt hatte, so daß sie, die Mutter, darin weniger ein Gegenstand der Freude als ein Gegenstand schuldiger Pflichtübungen war. Tausend Dinge, selbst Nichtigkeiten, waren ihr Zeugen für das schmähliche Benehmen der Comtesse ihr gegenüber, für diese Undankbarkeit, die die Marquise vielleicht als Strafe betrachtete. Sie suchte ihre Tochter mit den Plänen der Vorsehung zu entschuldigen, um noch die Hand küssen zu können, die sie schlug. An diesem Morgen dachte sie an das alles, und alles stach ihr noch einmal so scharf ins Herz, daß der volle Kelch ihrer Qualen überfließen mußte, wenn noch der leiseste Schmerz dazukam. Ein kalter Blick konnte die Marquise töten. Es ist schwer, diese häuslichen Vorkommnisse zu schildern, aber vielleicht genügen einige, damit wir sie alle verstehen. So hatte es zum Beispiel die Marquise, die etwas schwerhörig geworden war, nie erreichen können, daß Moina für sie etwas lauter sprach; und als sie einmal mit der Arglosigkeit eines leidenden Wesens ihre Tochter gebeten hatte, einen Satz zu wiederholen, von dem sie nichts verstanden hatte, hatte die Comtesse zwar gehorcht, aber mit einem so verärgerten Gesicht, daß Madame d'Aiglemont nicht den Mut hatte, ihre bescheidene Bitte noch einmal auszusprechen. Von diesem Tage an suchte die Marquise, wenn Moina eine Begebenheit erzählte oder über etwas sprach, sich immer möglichst in ihre Nähe zu setzen; aber oft schien die Comtesse das Leiden ihrer Mutter zu verdrießen, das sie ihr in ihrem Leichtsinn zum Vorwurf machte. Dieses Vorkommnis, das unter tausend ähnlichen Beispielen herausgegriffen ist, konnte nur das Herz einer Mutter verletzen. Alle diese Dinge hätte ein Beobachter vielleicht gar nicht bemerkt, denn es handelte sich um Feinheiten, wie sie nur den Augen einer Frau auffallen. So hatte zum Beispiel Madame d'Aiglemont einmal ihrer Tochter erzählt, die Princesse de Cadignan wäre zu ihr zu Besuch gekommen, und Moina rief nur: »Wie, um Ihretwillen ist sie hergekommen?« Die Miene, mit der diese Worte gesagt wurden, der Ton, den die Comtesse hineinlegte, enthielten ungeheuchelte Verwunderung und eine leichte Verachtung, die doch so stark waren, daß ein zartfühlendes junges Herz im Vergleich damit den Brauch der Wilden, ihre Greise zu töten, wenn sie sich nicht mehr an dem Ast eines Baumes, der stark geschüttelt wird, festhalten können, menschenfreundlich gefunden hätte.
    Madame d'Aiglemont stand auf, lächelte und ging hinaus, um still vor sich hin zu weinen. Gebildete Menschen, und besonders Frauen, verraten ihre Gefühle nur durch kaum wahrnehmbare Zeichen, an denen aber alle die, die Ähnliches erlitten haben wie diese unglückliche Mutter, nichtsdestoweniger die Zuckungen ihrer Herzen erkennen werden. Von ihren Erinnerungen überwältigt, mußte Madame d'Aiglemont wieder an eins dieser so verletzenden winzigen Vorkommnisse denken, das ihr wie kein anderes die grausame Geringschätzung, die sich unter einem Lächeln verbarg, zu Bewußtsein brachte. Aber ihre Tränen trockneten, als die Läden zum Schlafzimmer ihrer Tochter geöffnet wurden. Sie eilte auf dem Fußweg, der an dem Gitter entlang lief, durch das sie

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