Die Frauen der Calhouns 05 - Megan
Kinder jubelten, als das Boot in einem weiten Bogen Kurs in die Bucht hinaus nahm. Megans Magen machte den Bogen mit.
Alex erlaubte Kevin großmütig, das Schiffshorn zu betätigen. Megan hielt den Blick starr auf das ruhige Wasser der Frenchman Bay gerichtet.
Das Wasser war azurblau und glatt wie ein Spiegel. Wunderschön, nicht wahr, sagte sie sich immer wieder vor. Und kaum eine Welle.
»Von steuerbord aus kann man gleich The Towers sehen«, drang Nathaniels Stimme an ihr Ohr.
»Das heißt rechts. Und backbord heißt links«, erklärte Jenny stolz.
So konnte Alex sich natürlich unmöglich abhängen lassen. »Und achtern heißt hinten. Wir wissen nämlich alles über Schiffe.«
Megan richtete die Augen auf die Klippen, vorsichtig darauf bedacht, ihrem Magen keine zu schnelle Bewegung zuzumuten. »Schau nur, da ist es, Kevin. Es sieht aus, als würde es aus den Felsen herauswachsen.«
Es wirkt tatsächlich wie ein Schloss, dachte sie. Die Türmchen und Zinnen erhoben sich gegen den blauen Sommerhimmel, der graue Stein schimmerte im Sonnenlicht. Selbst die Baugerüste und die Handwerker, von hier aus klein wie Ameisen, konnten dem märchenhaften Bild nichts anhaben. Ein Märchen mit einer finsteren Seite, setzte sie in Gedanken hinzu. Was die Atmosphäre nur noch faszinierender machte. Kein Wunder, dass Sloan dieses alte Gemäuer so liebte.
»Einen solchen Anblick würde man wohl eher an einer verlassenen Küste irgendwo in Irland erwarten, nicht wahr?«, sagte Nathaniel hinter ihr. »Oder in den schottischen Highlands.«
»Ja«, stimmte sie zu. »Es ist wirklich beeindruckend.« Sie sah zu Biancas Turm hoch und schauderte leicht.
»Ziehen Sie sich besser die Jacke über«, riet Nathaniel. »Je weiter wir rauskommen, desto kühler wird es.«
»Nein, mir ist nicht kalt. Ich musste nur gerade an Biancas Geschichte denken. Wenn man das Haus von hier aus sieht, kann man sich gut vorstellen, wie es gewesen sein muss.«
»Wahrscheinlich saß sie da oben in ihrem Turm und hielt Ausschau nach Christian. Und dann würde sie zu träumen anfangen – mit Gewissensbissen natürlich, schließlich war sie eine anständige Frau. Aber gegen die Liebe hat Anstand so viel Chancen wie ein Schneeball in der Hölle.«
Wieder lief Megan ein Schauer über den Rücken. Auch sie hatte geliebt und allen Anstand in den Wind schießen lassen, zusammen mit ihrer Unschuld.
»Sie hat dafür bezahlt«, sagte sie tonlos. Um sich abzulenken, ging sie zu dem Instrumententisch und studierte die Karte. Nicht, dass sie auch nur einen Deut darauf ausmachen konnte.
»Wir fahren in nord-nordwestlicher Richtung.« Wie bei Alex nahm er ihre Hand und führte sie über die Karte. »Wir haben klare Sicht und ruhigen Seegang. Weiter draußen allerdings wird der Wind auffrischen. Dann wird’s wohl ein wenig mehr schaukeln.«
Na wunderbar, dachte sie zerknirscht und schluckte. »Wenn Sie keine Wale auftreiben, werden Sie sich mit fürchterlich enttäuschten Kindern auseinandersetzen müssen.«
»Oh, ich bin sicher, ich finde welche.« Megan stieß gegen ihn, als eine Welle an das Boot schlug. Nathaniel legte ihr die Hände auf die Schultern. »Sie müssen die Füße spreizen, das Gewicht gleichmäßig verlagern. Keine Sorge, Sie bekommen schon noch Ihre Seemannsbeine.«
Sie bezweifelte das ernsthaft. Schon jetzt konnte sie den feinen Film kalten Schweißes auf ihrer Stirn spüren. Ihr Magen drehte sich unangenehm, doch sie schwor sich, Kevin nicht den Tag zu verderben.
»Die Fahrt zum Aussichtspunkt dauert ungefähr eine Stunde, nicht wahr?« Ihre Stimme klang lange nicht so fest, wie sie sich gewünscht hätte.
»Richtig.«
Sie wollte sich umdrehen und zurückgehen, stattdessen sackte sie schwindlig an seine Brust.
»Na, was ist denn?« Doch ein Blick in ihr Gesicht reichte aus, und er zog besorgt die Brauen zusammen. Sie war bleich wie ein Laken, mit einem Anflug von grünlichem Grau unter der Haut. Seekrank, dachte er mit einem Kopfschütteln. Dabei waren sie kaum unterwegs. »Haben Sie etwas dagegen eingenommen?«
Unsinnig, ihm etwas vormachen zu wollen, für Tapferkeit hatte sie keine Kraft mehr. »Ja, aber es scheint nichts zu nützen. Mir wird schon in einem Ruderboot schlecht.«
»Und dann melden Sie sich mal eben für einen Drei-Stunden-Törn auf dem Atlantik.«
»Kevin freute sich doch so darauf …«
Einen Arm um ihre Hüfte gelegt, führte Nathaniel sie zu einer Bank an Deck. »Setzen Sie sich«, ordnete er an.
Megan
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