Die Frauen der Calhouns 05 - Megan
addieren. So bekam sie unter anderem einen genauen Einblick, welche Aufwendungen für einen Ball auf The Towers im Jahre 1913 nötig gewesen waren. Aus den Randnotizen konnte sie auch Fergus’ Motive nachvollziehen.
Alle Einladungen wurden angenommen. Niemand hat es gewagt, abzulehnen. B. hat Blumen bestellt. Habe mit ihr gestritten wegen angeblicher Prunksucht. Musste ihr klarmachen, dass Erfolg gezeigt werden muss und eine Ehefrau die Entscheidungen ihres Mannes niemals infrage stellt. Sie wird die Smaragde tragen, nicht die Perlenkette, wie sie vorschlug. Sie wird der Gesellschaft den Beweis für meinen auserlesenen Geschmack und mein Vermögen liefern und sich daran zu erinnern haben, wo ihr Platz ist.
Ihr Platz war an Christians Seite, dachte Megan voller Mitleid für Bianca. Wie traurig, dass erst der Tod die beiden vereint hatte.
Um das düstere Gefühl zu vertreiben, blätterte Megan zu den letzten Seiten. Was mochten diese Zahlen bedeuten? Ausgaben waren es nicht, vielleicht Kontonummern. Aktienkurse? Grundbuchnummern?
Vielleicht würde ein Besuch im Stadtarchiv sich lohnen. Möglicherweise fand sie in den Archivunterlagen des Jahres 1913 irgendeinen Hinweis oder eine Verbindung zu diesen Zahlen. Dann konnte sie auch bei Shipshape vorbeifahren, die Buchführung für April abliefern und die nächsten Belege mitnehmen.
Und wenn sie dabei Nathaniel über den Weg lief … nun, das wäre natürlich rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.
Es war durchaus romantisch, durch den Regen zu fahren. Nur wenige Fußgänger waren auf den Straßen. Versteckt unter breiten Schirmen, betrachteten sie die Auslagen der Souvenirläden. Die Wasser der Frenchman Bay lagen grau und nebelverhangen da. Die Masten der verlassenen Yachten im Hafen reckten sich in den trüben Himmel.
Das Tuten eines Nebelhorns drang gedämpft an Megans Ohr. Es war, als ob die ganze Insel in eine Decke gehüllt sei und für eine Weile sicher und geschützt ruhe. Megan dachte daran, einfach auf der Küstenstraße weiterzufahren oder die gewundene Straße zum Acadia Nationalpark zu nehmen.
Vielleicht würde sie das auch tun. Später, wenn die Pflichten des Tages erledigt waren. Sie hatte Lust, ihre neue Heimat zu erkunden. Und vielleicht würde sie Nathaniel fragen, ob er nicht mitkommen wollte.
Doch sein Wagen stand nicht vor dem Geschäft, als sie bei Shipshape ankam. Da nützte es auch nichts, dass sie sich einzureden versuchte, es sei unwichtig, ob Nathaniel da war oder nicht. Es war wichtig. Sie wollte ihn sehen. Wollte sehen, wie seine grauen Augen sich verdunkelten, wenn er sie ansah. Wollte das Lächeln auf seine Lippen ziehen sehen.
Vielleicht hatte er ja hinter dem Haus geparkt. Den Aktenkoffer fest in der Hand, hastete Megan vom Auto ins Büro. Es war leer.
Die Enttäuschung war erschreckend groß. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich darauf verlassen hatte, ihn hier anzutreffen. Dann vernahm sie aus der Werkstatt hinter dem Haus schwach Musik.
Nein, sie würde nicht nachsehen, wer da den verregneten Tag für Bootsreparaturen nutzte. Sie war aus rein beruflichen Gründen hier. Also holte sie die Buchführungsmappe für den letzten Monat aus dem Aktenkoffer und legte sie auf den überfüllten Schreibtisch. Sie würde nie verstehen, wie jemand in einem solchen Chaos konzentriert arbeiten konnte!
Sie war versucht, Ordnung zu schaffen, zu sortieren und abzuheften. Doch das verbot sie sich. Stattdessen wollte sie nur im Aktenschrank nachsehen, ob sie dort neue Belege finden würde, die sie mitnehmen konnte.
Als sie die Tür gehen hörte, drehte sie sich mit einem Lächeln um, das jedoch ein wenig nachließ, als sie erkannte, dass es sich um einen fremden Mann handelte. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie höflich.
Der Mann trat ein und schloss die Tür hinter sich. Als er sie anlächelte, stutzte sie. »Hallo, Megan.«
Die Zeit schien stehen zu bleiben. Dann drehte der Zeiger der Uhr sich wie in Zeitlupe zurück. Fünf Jahre, sechs, zehn. Zurück zu einer Zeit, als sie jung und unbedarft und willig gewesen war, an die große Liebe auf den ersten Blick zu glauben.
»Baxter.« Der Name war nur ein Flüstern. Wie seltsam, dachte sie, dass ich ihn nicht erkannt habe. Er hatte sich eigentlich kaum verändert. Attraktiv und gepflegt, sah er noch genauso aus wie vor zehn Jahren, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Ein sportlicher Traumprinz im Nadelstreifenanzug, dem die Lügen charmant und ohne jeden Skrupel
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