Die Frauen des Journalisten (German Edition)
unbewusst herbeiführte, war nicht zu erkennen, Claudia hielt ihr vergangenes Leben unter Verschluss. Noch war ihre Pubertät voll im Gange, sie war ja immer noch 17, aber ihre Interessen wichen von denen Gleichaltriger bald völlig ab. In der Gruppe der Tagesklinik, in die sie eingewiesen wurde, fühlte sie sich wohl. Sie war nicht ängstlich oder zurückhaltend, sondern offen und neugierig. Sie selbst beteiligte sich an den Therapien, die sie betrafen mit Neugier. Sie besorgte sich Literatur zu den Problemen, die in der Gruppe besprochen wurden, also nicht nur sie selbst betrafen. Fand sie nicht genug Material in ihrer Bibliothek, bat sie sogar die Psychologen um Literatur. Claudia machte, so schien es, schnell große Fortschritte bei ihrer Genesung. Sie galt nach kurzer Zeit als gesund.
***
In der ganzen Welt wurde es in allen Nachrichten verbreitete, was Günther Schabowski während einer Pressekonferenz in Ostberlin verlesen hatte, auch in New York. Schon in den letzten Wochen des Jahres 1989 hatte Dominique Enright die Vorgänge in Deutschland regelmäßig und mit wachsendem Interesse verfolgt. Heute aber geriet sie in eine solche Unruhe, dass sie kaum noch zu halten war. Aus unmittelbarer Nähe musste sie das miterleben. Sie musste nach Berlin.
Während der letzten zwei Jahre hatte sie oft an Michael Wortmann denken müssen, manchmal auch bedauert, dass es dieses gespaltene Deutschland immer noch gab. Mehr als vierzig Jahre nach diesem Krieg sollten doch endlich genug sein. Sie ließ sich also von ihrer Sekretärin ein Flugticket für Berlin besorgen, bereits am nächsten Tag wollte sie abfliegen.
Zwei Tage später stand sie dann wirklich am späten Nachmittag auf dem Flughafen Tempelhof. Kaum angekommen in der Halle des Flughafens, suchte sie schon nach einem Telefon, um in der Redaktion bei Michael Wortmann anzurufen. Als sich am anderen Ende jemand meldete, vergaß sie sogar deutsch zu sprechen. Hastig, ohne Luft zu holen, nannte sie ihren Namen und fragte nach dem Journalisten. Erst als sie in der Leitung ein Flüstern hörte wurde ihr bewusst, dass sie englisch gesprochen hatte.
„Entschuldigung, Sie haben mich nicht verstanden. Ich...“
„Doch, doch, ich habe sie schon verstanden. Warten Sie bitte einen Moment.“
Nach einer kurzen Pause kam dann die Information, dass er in der Stadt unterwegs sei.
„Oh, damit habe ich jetzt gar nicht gerechnet. Würden Sie ihm bitte etwas ausrichten? Ich bin voraussichtlich in etwa zwei Stunden in meinem Hotel.“
Dominique nannte den Namen des Hotels und bat die Stimme am anderen Ende dann noch die Nachricht unbedingt auszurichten. In Westberlin war es für ihre Sekretärin unmöglich gewesen, ein Hotelzimmer zu buchen. Es schien so, als sei die ganze Welt in Berlin verabredet. Deshalb blieb ihr nur ein Hotel in Ostberlin. So wie sie ihre Nachricht in der Redaktion hinterlassen hatte, war es dann auch. Das Taxi hatte Mühe Dominique durch die Stadt zu bringen. Es blieb immer wieder im Verkehr stecken, kam nur mühsam vorwärts und brauchte über eine Stunde bis zum Hotel.
„Man muss sich jetzt über nichts mehr wundern.“, lachte der Taxifahrer, als sie ihm ein Hotel im Osten der Stadt nannte.
„Fast wäre es ganz unmöglich gewesen überhaupt ein Zimmer so kurzfristig zu finden. Meine Sekretärin hat sich selbst übertroffen.“, erwiderte sie glücklich.
Etwa zehn Minuten, nachdem sie in ihrem Zimmer war läutete das Telefon.
„Hallo, wer ist da?“, fragte sie erwartungsvoll.
„Wortmann, sind Sie wirklich in Berlin?“ Michaels Stimme klang so zweifelnd, dass sie vor Lachen kaum antworten konnte.
„Na, dann kommen Sie ganz schnell her und überzeugen Sie sich.“
„Ich bin unten in der Halle.“
„Wirklich? In zehn Minuten bin ich da, gehen Sie nicht weg.“
Sie stellte überrascht fest, dass sie Herzklopfen hatte. Sie musste über sich selbst den Kopf schütteln und ein Lächeln flog über ihr Gesicht. Dominique zog sich rasch um; Jeans, ein schwarzer Pulli und eine hellbraune Lederjacke. Sie kämmte die Haare locker zurück, zog ihre Lippen mit wenig Rot nach, sah in den Spiegel.
´Fast fünf Jahre jünger siehst du jetzt aus´, dachte sie und zwinkerte ihrem Spiegelbild zu.
Als sie aus dem Lift trat, sah sie ihn sofort. Vermutlich hatte er mit mehr als zehn Minuten gerechnet, denn er war in eine Zeitung vertieft. Sie ging schnell auf ihn zu.
„ Da bin ich.“
Er zuckte zusammen, warf die Zeitung zur Seite und
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