Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
dass ich nichts anfasse.»
Sie betrachtete ihn. Irgendetwas an Sebastian war ungeheuer rührend. Er hatte seinen ohnehin schon wackeligen Halt verloren und war Hals über Kopf vor ihnen in die Tiefe gestürzt. Sie hatte ihn noch nie so schwach gesehen. Ihr Blick suchte seine müden Augen.
«Wenn du mir eine Frage beantwortest.»
«Was denn?»
«Komm rein.»
Sie gab dem Polizisten ein Zeichen, dass er beiseitegehen sollte, und bat Sebastian in die Wohnung. Sie war hell und sehr sparsam möbliert. Die Küche lag linker Hand und schien selten benutzt worden zu sein. Am Ende des Flurs lag rechts ein Wohnzimmer, das nur mit einem Sofa und einem großen Couchtisch möbliert war. Auf dem Tisch lag eine Taschenlampe, und überall im Raum waren große Stehlampen verteilt. Die ganze Wohnung machte einen sehr pedantischen Eindruck, gerade so, als wohnte in Wirklichkeit niemand darin. Es war warm, was vor allem daran lag, dass es weder Gardinen noch Rollläden gab und die Sonne direkt hineinschien. Sebastian folgte Ursula ins Schlafzimmer.
«Er war anscheinend ein sehr penibler Mensch. Alles hat seine perfekte Ordnung.» Sie öffnete die oberste Kommodenschublade und zeigte auf einen Stapel mit zusammengelegten, hellblauen Nachthemden. Daneben lagen ungeöffnete Packungen mit Nylonstrümpfen.
«Gruselig, oder?»
Er nickte.
Ursula fuhr fort: «Und wenn du da drüben reinguckst, wird dir ganz schlecht.»
Sie zeigte auf eine Tür, die aussah, als würde sie zu einem begehbaren Kleiderschrank oder einer kleinen Vorratskammer führen. Sebastian begann, dort hinzugehen.
«Zieh die Schuhschützer an.»
Ursula reichte ihm zwei Plastikschützer. Er nahm sie entgegen, beugte sich nach unten und zog sie über seine schwarzen Schuhe. Dann gab sie ihm zwei sterile Handschuhe.
«Die auch.»
Er nahm sie dankbar entgegen.
«Was wolltest du mich eigentlich fragen?», sage er dann.
«Warum hast du mit meiner Schwester geschlafen?»
Er sah sie verwundert an. Selbst wenn er hundert Jahre lang geraten hätte, wäre er nie auf diese Frage gekommen.
«Das habe ich mich immer gefragt», ergänzte sie.
Barbro. So lange her. Warum? Was sollte er darauf antworten? Was konnte er antworten? Nichts. Er schüttelte den Kopf. «Ich glaube, darauf kann ich nicht antworten.»
Ursula nickte vor sich hin. «Okay. Ich versuche ja nur, einen Weg zu finden, wie ich dir verzeihen kann.»
«Und warum?»
«Weil ich das Gefühl habe, dass du das brauchst.»
Ihre Blicke trafen sich. Fixierten sich. Sie kannte ihn gut. Doch dann verjagte Ursula diesen Augenblick sofort, indem sie eine resignierte Armbewegung machte.
«Aber ich kann mich auch täuschen», sagte sie unbekümmert. «Dreh du deine Runde, wenn du willst.»
Sie drehte sich um und ging in die Küche. Er blieb stehen und sah ihr nach, wusste aber nicht, was er ihr antworten sollte. Er würde sie verletzen, ganz gleich, wie seine Antwort ausfiel. Und das wollte er nicht.
Er öffnete die Tür, auf die Ursula gezeigt hatte. Der Raum dahinter war klein. An der einen Wand stand ein Regal mit einem Drucker. Kartons mit Fotopapier. Eine Masonittafel an der Wand. Sebastian ging darauf zu. Vier zusammengeheftete Fotostapel waren mit je einer Klammer an der Tafel befestigt. Darüber standen die Nummern 1, 2, 3, 4, mit Filzstift geschrieben und eingekreist. Als Sebastian näher kam, sah er, was auf den Fotos war. Seine Frauen. Alle vier. Schreckerfüllt. Aus einer Position fotografiert, die man am ehesten als Gottesperspektive beschreiben konnte. Der Fotograf blickte auf sie herab. Beherrschte sie. Sebastian zog die Handschuhe an und nahm den Packen herunter, der unter der Nummer 3 hing. Katharina Granlund. Nackt und weinend auf dem ersten Bild, tot und mit starrem Blick auf dem letzten. Er blätterte auch die anderen Bündel durch. Hastig. Er wollte nicht an irgendwelchen Details hängenbleiben. Das letzte Bild war in allen Bilderserien gleich. Das Messer, das ihren Hals durchschnitt. Sebastian wurde übel.
Am liebsten wäre er weggerannt, so weit wie möglich. Als ob seine Flucht die Taten rückgängig machen könnte. Aber er blieb stehen, hängte die Bilder zurück und vermied es, sie dabei noch einmal anzusehen. Er hörte Ursula dort draußen in der Küche arbeiten. Sie hatte recht, aber gleichzeitig täuschte sie sich auch. Wie sollte ihm jemals verziehen werden? Nach diesen Bildern.
Er ging wieder ins Schlafzimmer. Vor allem, um von all den grausigen Eindrücken wegzukommen. Der kleine Raum
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