Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
hatte. Wie schlecht es ihm gegangen war. Er musste lediglich darauf achten, seine Wut im Zaum zu halten. Ralphs Ego zu stärken. Er beugte sich noch weiter vor, jetzt flüsterte er beinahe.
«Sie waren derjenige, der mich verletzt hat. Der mir den Schlaf geraubt hat. Sie waren der Held. Derjenige, der lebendig war. Über wen haben die Zeitungen geschrieben? Vor wem hatte die ganze Stadt Angst? Wer hat all die Aufmerksamkeit auf sich gezogen?»
«Und die habe ich immer noch.»
«Aber nicht mehr lange. Während Sie hier sitzen, ist Edward da draußen unterwegs. Mit dem Staffelstab in der Hand.»
Ralph blickte ihn mit einem Ausdruck völliger Verwunderung an. Sebastian hatte sich gefragt, ob Ralph wohl von Hindes Plänen gewusst hatte. Jetzt kannte er die Antwort, ohne dass er die Frage überhaupt hatte stellen müssen.
«Wie, da draußen? Ist er ausgebrochen?»
«Ja.»
Sebastian sah, wie Ralph versuchte, die Informationen zu verarbeiten. Wie er sie in einen Zusammenhang bringen wollte. Und daran scheiterte.
«Kannten Sie seine Pläne denn nicht? Hat er es Ihnen nicht erzählt?»
Ralph antwortete nicht. Das musste er auch gar nicht. Seine Enttäuschung war offensichtlich.
«Er wollte wohl nicht, dass Sie es erfahren», fuhr Sebastian fort, damit Ralph auf jeden Fall klar wurde, wie sehr er hintergangen worden war, oder eine logische Erklärung dafür fand.
«Anscheinend wollte er Sie Ihrer Macht berauben», verdeutlichte Sebastian. «Wer hat denn jetzt noch Angst vor Ihnen?»
Ralph sah zu ihm auf, fast schon verwirrt. Sebastian spürte, dass sein Gegenüber kurz davor war, die Niederlage anzunehmen.
«Aber Sie können Ihre Macht behalten», fuhr er, so ruhig und vertrauenerweckend, wie er nur konnte, fort. «Übernehmen Sie die Kontrolle über den, der Sie kontrolliert hat. Der Lehrjunge wird zum Meister! Haben Sie das nicht immer gewollt? So zu werden wie Edward Hinde?»
«Ich bin jetzt schon besser als Edward.»
Sebastian registrierte erfreut, dass er «Edward» sagte. Nicht mehr «der Meister».
Ralph sah ihn mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck an. «Ich habe fünf erledigt.»
Sebastian wurde innerlich ganz kalt. Fünf? Eine weitere Frau? Eine, die sie nicht gefunden hatten? Wie konnten Sie das übersehen haben? Wer war es?
«Ich habe den dicken Mann kaltgemacht», verdeutlichte Ralph, als er Sebastians nervösen, verständnislosen Blick sah.
Trolle. Ja, Trolle war tot. Obwohl er es eigentlich schon gewusst hatte, traf Sebastian die Bestätigung dennoch wie ein Schlag. Er blinzelte. Behielt sein Ziel im Auge. Er bahnte sich einen Weg direkt in Ralphs Inneres. Er hatte schon viele Verteidigungslinien eingenommen. Ralphs Rüstung aufgebrochen. Jetzt durfte er nicht gefühlsduselig werden. Trolle war tot. Keine Neuigkeit. Er musste damit leben. Und Ralph bezwingen.
«Das reicht nicht.»
«Warum nicht?»
«Weil es nicht geplant war.» Sebastian bemerkte, dass er sich auf sehr dünnem Eis bewegte, hoffte aber, Ralph gut genug verstanden zu haben, damit es funktionierte. «Es braucht nicht viel, jemanden auf der Straße umzubringen», fuhr er fort. «Das kann doch jeder Idiot.»
«Im Auto», sagte Ralph nachdenklich.
«Was?»
«Ich habe ihn im Auto erstochen. Aber ich verstehe schon, was Sie meinen. Er war nicht Teil des Rituals.»
«Und Sie sind besser als das.»
Ralph sah mit Wärme im Blick zu Sebastian auf. Edward hatte gesagt, dass sie sich ähnlich waren, Sebastian und er. Und das waren sie auch. Beide sahen ihn. Erkannten in ihm das, was er war. Denjenigen, der er war. Er bedeutete etwas. Aber Edward hatte ihn im Stich gelassen. Hinter seinem Rücken.
Sebastian begegnete Ralphs bewunderndem Blick mit einem Lächeln. Ihm wurde warm. Er hatte ihn erreicht. War in diesen unsicheren Kern in seinem Inneren vorgedrungen, der nach Anerkennung schrie. Genau so musste er jetzt weitermachen.
«Wie geht es Ihnen jetzt? Sie hatten viel zu tun.»
«Merkwürdigerweise fühle ich mich irgendwie stark.» Ralph machte eine Pause, als wollte er das nachprüfen, dann nickte er vor sich hin. «Würdig.»
«Das sind Sie auch. Sie sind ein würdiger Gegner. Aber Sie müssen sich entscheiden, wessen Gegner Sie sein wollen. Nur so wird man zum Gewinner.»
«Meinen Sie, dass ich mich gegen ihn stellen soll?»
«Sie sind besser als er.» Sebastian holte tief Luft. Sie hatten den entscheidenden Punkt fast erreicht. Mehr Vorarbeit konnte er wirklich nicht leisten. Er war gezwungen, zu einem Ziel zu
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