Die Frauen von Savannah
Mabel. Ein Herz aus Stein.«
Eine alte Dame scheuchte ihn weg. »Jetzt sei doch mal still«, schimpfte sie, »sonst wacht das Baby auf.«
Aber es war gar kein Baby dort.
Ich folgte Oletta hinein und war froh, der Sonne zu entkommen. Wir gingen durch einen Raum voller schäbiger Sofas und bunt zusammengewürfelter Stühle zu einem Trinkwasserspender. Das Wasser war kalt, und wir tranken in großen Zügen. Dann führte Oletta mich einen schummrigen Gang entlang.
Von der Decke hing eine nackte, summende Glühbirne. Sie flackerte, und aus den offenen Türen kam der Geruch von Alter und Verzweiflung. Ich versuchte, den Blick auf den Boden gerichtet zu halten, konnte mich aber nicht beherrschen und schaute doch in eines der Zimmer. Eine alte Dame mit entsetzlich leidendem Blick schob die Hand durch die Metallstäbe ihres Gitterbetts, streckte die knochigen Finger aus und bat mich, sie nach Hause zu bringen. Es waren die traurigsten fünf Sekunden meines Lebens.
Wir betraten ein Zimmer, in dem zwei schmale Betten nebeneinanderstanden. Die sorgfältig ausgebreiteten Tagesdecken aus blassgelbem Chenille waren schon ganz fadenscheinig. Im Fenster drehte sich ein klappriger Ventilator und schickte einen leisen Luftzug durch den dämmrigen Raum. Ich stellte mich davor und ließ mir die verschwitzte Stirn trocknen.
»Wie alt ist denn deine Tante?«
»Sapphire ist einundneunzig«, sagte Oletta, stellte die Dose mit den Brownies auf eine Kommode und sah aus dem Fenster. »Ist bestimmt draußen.«
Als wir hinauswollten, kam eine winzige, krummbeinige Dame in einem geblümten Hauskleid vom Eingang her durch den Aufenthaltsraum geschlurft. Sie trug eine Kette aus bunten Plastikperlen und Strass-Ohrringe, so groß wie Vierteldollarstücke. »Beeilt euch«, sagte sie mit strahlendem Lächeln. »Louis Armstrong ist hier. Wir singen gleich ein Duett im Speisesaal.«
Oletta nickte. »Danke, dass Sie uns Bescheid sagen, Miz Pearson. Wir kommen sofort.«
Als die Frau in ihren grünen Frotteepantoffeln weiterschlurfte, wandte ich mich zu Oletta. »Wow. Louis Armstrong ist hier! Ich habe ihn mal mit Mrs Odell im Fernsehen gesehen. Können wir da gleich hingehen?«
Oletta beugte sich zu mir herab und flüsterte: »Louis Armstrong ist nicht hier. Er ist nur in Miz Pearsons Kopf hier. Aber die Schwestern lassen sie in dem Glauben, weil anders kriegen sie sie nicht in die Badewanne.«
Ich folgte Oletta ans hintere Ende des Raums, wo sie eine Fliegentür aufschob und auf eine überdachte Veranda hinaustrat. Um einen Tisch saßen zwei Frauen und ein schmerzhaft zerbrechlich wirkender Mann. In der Mitte des Tischs stand ein Halmaspiel.
Die kleinere Frau sah den ihr gegenübersitzenden Mann böse an. »Wirklich, Virgil, wir können auch Steck-dem-Esel-den-Schwanz-an spielen, wenn dir das lieber ist.«
Ein zutiefst verletzter Ausdruck zeigte sich auf dem Gesicht des alten Mannes. Er stand auf, tippte sich mit einer vollendeten Bewegung an den verbeulten Hut und sagte langsam und würdevoll: »Na gut, Sapphire. Dann geh ich mal Stecknadeln für den Esel holen, und wenn du bereit bist, dir den Schwanz anheften zu lassen, sag Bescheid.«
Die alte Dame bekam hinter ihren Brillengläsern große Augen. »So sprichst du nicht mit mir. Wer schimpft hier wen Esel?« Mit ihren Fingern, die so knorrig waren wie die Wurzeln eines uralten Baumes, griff sie nach einer Spielmurmel, warf sie und traf ihn mitten am Rücken. Er schlurfte mit einem schiefen Lächeln davon. Die andere Dame am Tisch nahm eine Murmel vom Brett und ließ sie vorne in ihrem sackartigen Kleid verschwinden.
Oletta wandte sich an die Frau. »Wie geht’s denn immer so, Miz Obee? Hübsches Kleid haben Sie an.«
Die alte Dame mit den runden Pausbäckchen lächelte schüchtern. Sapphire, die nur ein winziges Häuflein Knochen war und wirres graues Haar hatte wie eine Pusteblume, wandte sich zu uns um. Als ihr Blick auf mich fiel, blitzten ihre Augen. »Wer zum Donner bist du denn?«
Oletta legte mir den Arm um die Schultern. »Das ist die kleine Cecelia Honeycutt, und sie ist …«
» Weiß ! Warum bringst du denn ein weißes Mädchen hierhin?«
Ich dachte, Oletta springen gleich die Augen aus dem Kopf. »Sapphire June Wilson! Kannst du dich vielleicht mal benehmen? Jetzt entschuldige dich.«
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über Sapphires Lippen, als sie sich zurücklehnte. »Entschuldigen? Wofür? Kann ich doch nichts für, dass sie weiß ist.«
Oletta war
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