Die Frequenz: Thriller (German Edition)
massierte. Tränen kullerten Helena über die Wangen.
»Ich bin nur davongekommen, weil ich die Waffe hatte. Meine Mutter nicht. Am nächsten Tag wurde sie gefunden. Die Männer hatten sie vergewaltigt und ermordet.«
Jetzt verstand Wilson vieles an ihr. Es war, als hätte sein nebulöses Wissen über sie Gestalt angenommen: die Waffen, das Bedürfnis, stets die Kontrolle zu behalten – das alles war mit einem Mal begreiflich. Er schaute sie an, und sie drehte ihm den Kopf zu. Das Mitgefühl für sie bestärkte ihn umso mehr in seinem Entschluss, die Schumann-Frequenz zu korrigieren. In ihren nassen Augen sah er eine Hilflosigkeit, eine Verletzlichkeit, die er noch nie gesehen hatte. Er würde die Szene nie vergessen: Wie sie ihn ansah, die Eindringlichkeit ihrer Gefühle … den unaufhörlichen Regen … die dämmrige Landschaft, die an den Fenstern vorbeizog.
Wilson griff in die Tasche und holte die ägyptische Münze hervor, die eine so wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hatte. In ihr verbanden sich Vergangenheit und Zukunft. Das Schicksal. Er rieb die eingedellte Oberfläche zwischen den Fingern. »Helena, ich möchte, dass du sie behältst.«
Wilson erklärte ihr, wie er das Geldstück in der Zukunft bekommen hatte und wie es zu seiner Omega-Programmierung gekommen war.
»Das ist meine Schicksalsmünze«, sagte er. »Ich gebe sie dir, damit unser beider Zukunft miteinander verbunden ist.« Er schwieg einen Moment. »Ich möchte daran denken können, dass du sie hast.« Er drückte ihr das Geldstück in die Hand und schloss ihre Finger darum.
Miteinander verbunden reicht nicht, dachte Helena. Warum musst du unbedingt gehen?
»Alles hat seinen Grund«, sagte Wilson wie als Antwort auf ihre stumme Frage. »Das ist Schicksal. Und ich bin froh, dass du Teil meines Schicksals bist.«
Helena verließ die M25 und fuhr auf die M3. Die Regentropfen perlten über die Scheiben. Der Himmel wurde dunkler. Während der nächsten zwanzig Minuten sprachen sie kein Wort. Wilson ließ die Hand in Helenas Nacken.
44.
Salisbury Plains, England
A344, zwei Meilen von Stonehenge
21. Dezember 2012 – Nullpunkt
Ortszeit: 15.49 Uhr
Unternehmen Jesaja – siebenundzwanzigster Tag
Der kürzeste Tag des Jahres, die Wintersonnenwende, neigte sich dem Ende zu. Durch einen Riss in den Wolken überschwemmte die untergehende Sonne die Landschaft mit Rot. Mit hoher Geschwindigkeit flitzten zwei Scheinwerferkegel über den Horizont, tauchten hinter einen Hügel und erschienen erneut in der rötlichen Glut, als der Wagen durch die englische Landschaft raste.
Der Porsche jaulte, als er nach und nach heruntergeschaltet wurde, und hielt schließlich vor einem hohen, verschlossenen Tor. Die Stoßstange an der Absperrung, schob er sich durch leichtes Gasgeben voran, bis das Tor aufsprang. Die Scheinwerfer strahlten gegen den frühen Sonnenuntergang an, während der Wagen an einem modernen Fremdenverkehrsbüro vorbei über einen großen Parkplatz fuhr.
In der Mitte einer grasbewachsenen Ebene befand sich die berühmte Stonehenge-Anlage, eine Kultstätte, deren Zweck seit Jahrtausenden in geheimnisvollem Dunkel lag. In drei konzentrischen Kreisen standen dort etwa siebzig Megalithen aufrecht da. Sie waren bis zu acht Meter hoch und wogen angeblich fünfzig Tonnen. Große Tropfen aus Stein, wie Barton es ausgedrückt hatte. Die größten hießen Sarsensteine, und einige trugen noch den Deckstein. Davon waren nur neun an ihrem ursprünglichen Platz geblieben.
Der Porsche rollte bis an den Rand des Asphalts, von wo die Scheinwerfer das alte Bauwerk beleuchteten. Andere Wagen standen nicht da. Sie waren die einzigen Besucher. Helena schaltete den Motor aus, im Wageninnern war es still. Die unheimliche Anlage des dritten Portals war nur hundert Meter weit weg.
»Der Name Stonehenge kommt von dem altenglischen Stanhen Gist «, erklärte Wilson. Er betrachtete die im Dämmer liegende Steinformation. »Das heißt ›hängende Steine‹. Als der Bau begonnen wurde, war das Rad noch nicht erfunden. Er zog sich über tausendfünfhundert Jahre hin.«
Wilson stellte sich vor, wie es vor fünftausend Jahren ausgesehen haben mochte: eine Wiesenlandschaft und Steinzeitmenschen in Fellkleidung, die mit der Errichtung der Steine begannen. Das war eine Aufgabe, die viele Jahrhunderte, viele Lebensspannen in Anspruch nahm, während die Verantwortung von einer Generation auf die nächste übertragen wurde, noch bevor hier ein Wort geschrieben
Weitere Kostenlose Bücher