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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Schwester schlief wohlbehütet bei einer Freundin –, aber sie gingen nicht gerade mit gutem Beispiel voran, und als sie das obere Stockwerk erreichten, war Andreas bald gezwungen, schnell einen Umweg durch eines der Badezimmer zu machen, von denen die Aramentis eine ganze Sammlung hatten.
    Andreas kotzte sofort, aber anschließend wand er sich auf der Erde. Sein verdammter Magen. Dagegen ließ sich nichts machen, außer ihm eine Cola zu bringen. Seit einiger Zeit gelang es Michèle, ihm in solchen Situationen etwas Erleichterung zu verschaffen, indem sie ihre Hände aneinander rieb und diese dann auf die schmerzende Stelle drückte, aber Michèle war bei ihrer Mutter.
    Evy schob das breite Fenster auf, um etwas frische Luft für seinen Kumpel hereinzulassen, dessen Magen total verrückt spielte, seit seine Mutter, die erstaunliche Caroline, dem Zauber der guten Brigitte erlegen war, dieser lieben Brigitte. Im Augenblick standen die beiden übrigens im Garten, in Schuhen mit flachen Absätzen und mit kurz geschnittenen Nägeln, und gaben sich so locker wie fast alle alten, nicht ganz gesellschaftsfähigen Paare, aber sie zu benachrichtigen wäre eine sehr schlechte Idee gewesen. Andreas hätte ihn umgebracht.
    Auch er mußte kämpfen, um all dem Zeug standzuhalten, das er geschluckt hatte. Er ging auf den Balkon und blieb im Schatten des Vordachs, um nicht gesehen zu werden, und wieder einmal schloß er die Augen und ließ sich von Gaby Gurlitch überwältigen, die nicht mehr mit ihm sprechen wollte und ihn gekreuzigt hatte, für die er aber immer noch eine grenzenlose Verehrung empfand.
    Sie war wirklich die einzige, die für ihn zählte, vermutlich sogar sein einziger Lebensinhalt, wenn man unbedingt starke Worte verwenden wollte. Das war nicht übertrieben. Wenn er alles andere betrachtete, war das nicht übertrieben. Sie war zum rechten Zeitpunkt aufgetaucht, in dem Augenblick, in dem der Verlust von Lisa unerträglich geworden war. Gab es da noch etwas hinzuzufügen? Es hatte ihn derart erleichtert. Aber war er ihrer würdig?
    Unten hielt sein Großvater nach ihm Ausschau. Die Episode mit dem Baum, die drei Tage und zwei Nächte gedauert hatte, mußte den alten Mann wohl stark beeindruckt haben, denn er drang manchmal in sein Zimmer ein oder hämmerte an die Toilettentür, bis Evy ihm befahl, sich von der Matte zu machen. Im Grunde wußte er nicht recht, ob er es vorzog, daß André abhaute und ihn mit seiner Mutter allein ließ, oder nicht, denn sie hätte jederzeit ohne Vorwarnung explodieren oder sich in einen Klotz am Bein verwandeln können, den man auf einem Gebirgspfad hinter sich herziehen mußte. Zwischen zwei Scheißhaufen wählen zu müssen war nicht gerade begeisternd. Ein Luftzug wehte durch die Vorhänge und strich über das Gesicht von Andreas, der seine Wange auf den polierten, spiegelnden Marmor preßte und mit verzerrtem Mund auf den Boden sabberte. Bald würde die Cola da sein. In ein paar Minuten würde Anaïs zurück sein, dann konnte Andreas sich hinsetzen, wieder zu Atem kommen und sich in Ruhe seiner Trunkenheit widmen.
    Es war hart, wenn ein Freund einem unrecht gab. Wenn er nicht verstand, worauf man hinauswollte. Evy hockte sich auf den Balkon, neben die Tür, was ihm erlaubte, Andreas im Auge zu behalten und dennoch in den Genuß des Anblicks zu kommen, der sich ihm unten auf dem Rasen bot – und über den Leuten die Wälder zu betrachten und über den Wäldern den Himmel, den weiten, stillen Sternenhimmel.
    André Trendel würde es nicht wagen, ins obere Stockwerk zu kommen. Er würde sich damit begnügen, Laure darauf hinzuweisen, daß ihr Sohn nicht mehr in Sichtweite war, und sie würde darauf antworten: »André. Ich bitte Sie. André. Ich bitte Sie. Hören Sie damit auf. Lassen Sie mich in Ruhe«, und kaum hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht, würde sie sich in die geballte Faust beißen, um nicht laut zu schreien. Sie stand nicht weit von ihm entfernt, umgeben von mehreren Leuten, in einem Kleid von JPG, neben einer Gruppe von Dreispitzahornbäumen. Die Frauenzeitschriften und auch andere Magazine lobten die unabhängige Lebensweise dieser Frau, ihre radikale, nonkonformistische Einstellung zur Ehe.
    Von hier oben sah er auch, was die anderen nicht sahen und was höchstens Éric Duncalah und Judith Beverini ahnten, nämlich daß jetzt ein Schatten den Glanz seiner Mutter trübte, daß ein Schatten sie verfolgte und sich über ihre Schulter beugte, seit Richard getürmt

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