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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ein Bänkchen zu legen, um ein paar Hanteln zu heben und dabei seinen Ärger hinunterzuschlucken.
    »Dies hier ist wirklich nicht der richtige Ort, um sich zu unterhalten«, beklagte sie sich bei Evy. »Warum stimmt eigentlich immer irgend etwas nicht?«
    Draußen klopfte Axel Mender mit seinem Autoschlüssel gegen die Scheibe und forderte Laure auf, sich in Bewegung zu setzen.
    Der Himmel war bewölkt und wechselhaft, es war windig. Riesige Mengen von Laub waren herabgefallen. Man versank bis zu den Knöcheln darin, und die schwarzen Äste des Unterholzes waren ineinander verhakt und warfen ihre Zapfen ab.
    Evy verharrte eine ganze Weile im Schneidersitz auf der Plattform, endlich allein, endlich in Ruhe, endlich außer Reichweite, während der Wind um ihn herumpfiff, sein Haar zerzauste und raschelnd durch die Gipfel strich.
    Er sah sich die Fotos von Lisa an, die sich in der Tupperwaredose befanden. Er mußte sie gut festhalten. Mit beiden Händen, sonst flatterten sie in alle Richtungen und er hätte seine Schwester nicht mehr betrachten können. In Gesellschaft von Gaby Gurlitch. Die eine ebenso nackt und verblüffend wie die andere, die eine ebenso unentbehrlich und stumm wie die andere.
    Nach einer Weile wirbelte ein Foto davon. Es flog ihm aus den Händen und flatterte im Zickzack in die Höhe wie ein wild gewordenes Huhn. Seltsam unentschlossen blickte er ihm nach. Der Himmel war strahlend weiß wie das Innere einer Austernschale. Die Luft roch gut. Er ließ ein weiteres Foto sausen, das er zwischen Daumen und Zeigefinger festgehalten hatte und das dabei wie ein Flugzeugmotor knatterte. Es war nicht leicht, mit diesen Fotos den Clown zu spielen, denn sein Herz war noch immer von solch überschwenglicher Liebe zu seiner Schwester und zu Gaby erfüllt – egal, was für Fehler sie begangen hatten –, daß kein Ende davon abzusehen war, aber dennoch, aber dennoch ließ er ein drittes Foto in die Lüfte flattern, dazu brauchte er nur zwei Finger ein wenig zu lockern, und dann noch eins und noch eins.
    Er verließ den Hochsitz, ehe die Dunkelheit ihn völlig einhüllte, kurz nachdem in der Ferne bei Dany Clarence ein winziges Licht aufgeleuchtet war.
    Evy dachte an den Abend zurück, an dem Dany ihn beschuldigt hatte, Lisa über Bord geworfen zu haben, den Abend, an dem ihn Dany sturzbetrunken in Gegenwart von Richard dieser furchtbaren Sache beschuldigt hatte, und daran, daß von diesem Augenblick an alles schiefgelaufen, alles in die Hose gegangen war.
    Als er das Haus betrat, war alles düster und still. In zahlreichen Vasen strahlten weiße Lilien in der Dunkelheit. Im allgemeinen wurde, selbst wenn niemand unten war, das Licht angelassen, sogar im Garten, um zu zeigen, daß bei den Trendels keine Totenwache gehalten wurde – alle taten das auf dem Hügel, um Stromrechnungen machte sich niemand Sorgen.
    Seltsam. Sonst ließ Gina immer das Licht brennen, wenn sie fortging. Sonderbar daran war vor allem, daß er nichts bemerkt hatte, als er mit den Händen in den Taschen und ganz in Gedanken versunken aus dem Wald gekommen war, und plötzlich war da dieses Halbdunkel, diese gleichsam gellende Stille, die ihn verblüffte und einen unangenehmen Eindruck auf ihn machte.
    Er dachte, das ginge vermutlich darauf zurück, daß das Haus noch nicht die tiefgreifenden Veränderungen erfaßt hatte, die sich unter seinem Dach vollzogen hatten, und daß es unzusammenhängende, ja negative Signale sandte, aber zugleich wurde sein Blick von dieser neuen Tür angezogen, die zu dem ebenfalls neuen Fitnessraum führte, denn diese Tür stand halb offen und das schwache Licht, das noch vom Himmel fiel, verlieh dem versiegelten Parkett aus Kastanienholz einen silbrigen Schimmer.
    Und jetzt war ein leises Geräusch zu hören, ein schwaches, trübseliges Quietschen wie von einer Schaukel.
    Ein paar Sekunden lang blieb Evy verdutzt stehen. Dann wischte er sich den Mund ab und ging mit angehaltenem Atem durch den Flur auf die besagte Tür zu.
    Er stieß sie vorsichtig auf, und während sich die Tür in den Angeln drehte, bekam er Stück für Stück einen leicht beunruhigenden Einblick in den Raum.
    »Ich habe mir soviel Mühe gegeben, und das alles nur für ihn …«, murmelte André, der im Halbdunkel an einem Seil hin und her schwang.
    Es handelte sich um ein Kletterseil, das André sich zwischen die Beine geklemmt hatte, wobei er die Füße auf dem Boden stehen hatte und eine leichte Pendelbewegung machte.
    »Ich habe diesen Raum

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