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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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fortgehe und nach Hause zurückfahre. Es war Sonntag, im Haus war alles ruhig, Gina servierte das Frühstück, und André hatte einen nervösen Tick im Mundwinkel. Er hatte offensichtlich die ganze Nacht kein Auge zugetan.
    »Also, André«, sagte Laure und hielt die Teekanne schräg über ihre Tasse, »also, André, wenn es das betrifft, was gestern abend geschehen ist –«
    »Vergessen wir das«, erwiderte er lebhaft. »Vergessen wir das, denn das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie ich in diesem Haus – in diesem Haus beziehungsweise was davon noch übrig ist – geächtet werde.«
    Laure blickte zu ihm auf.
    »Trinken Sie schon am frühen Morgen?« fragte sie ihn schroff.
    Evy beobachtete die Szene und fragte sich, ob das Frühstück damit im Eimer sei – was ihm im übrigen ziemlich egal war, da er beim Gedanken an ihren für morgen geplanten Ausflug, falls Anaïs die Sache bestätigte, schon auf glühenden Kohlen saß.
    André meinte, daß die letzten Feinarbeiten noch zwei oder drei Tage dauern würden. »Ich würde sie gern bis zum Schluß beaufsichtigen, wenn das niemanden stört. Ich werde mich bemühen, so diskret wie möglich zu sein.«
    Der alte Kämpfer schien tödlich verletzt zu sein. Laure forderte ihn auf, sich zu setzen, nicht so eine finstere Miene zu machen und darauf zu verzichten, sich immer manisch als Opfer aufzuspielen.
    »Aber Sie wissen nicht, was ich durchgemacht habe. Sie können sich nicht im entferntesten vorstellen, wie mein Leben zwischen Rose und Richard ausgesehen hat, ja genau das… mein Leben zwischen diesen beiden.«
    »Hören Sie zu, André, ich will nichts davon hören. Setzen Sie sich. Bedienen Sie sich. Aber ich will kein Wort über dieses Thema hören. Nein, ganz gewiß nicht!«
    Sie fühlte sich trotz der Anstrengungen, die ihr Diätetiker unternahm, der sie mit Nahrungsergänzungsmitteln und amtlich nicht zugelassenen Stärkungspillen vollstopfte, ziemlich anfällig. Sie hatte das Gefühl, als säße sie am Rand eines reißenden Flusses, der die Uferböschung unterhöhlte und fortschwemmte, und sie mußte kämpfen, um nicht mitgerissen zu werden, kämpfen gegen ihre panische Angst.
    Es war seit einiger Zeit kein Geheimnis mehr, daß Richard sich in der Nähe aufhielt, daß er Robert Von Dutch sein Drehbuch termingerecht gesendet und sich irgendwo verkrochen hatte – auch wenn es Inspektor Chose noch nicht gelungen war, seinen genauen Aufenthaltsort ausfindig zu machen.
    André wollte ihn im Keller anketten, falls er ihn in die Finger bekam, aber wer sonst wünschte sich schon, daß er zurückkehrte?
    Laure zählte nicht darauf, denn sie mußte mit einem viel tiefergehenden Übel fertig werden als dieser Trennung, die er ihr auferlegt hatte, und Evy erging es ebenso, es lag ihm nicht daran, gewisse Wunden wieder aufzureißen – er hatte keine rechte Lust, sich bei einer Angelpartie oder vor dem Kaminfeuer mit seinem Vater über Gaby Gurlitch zu unterhalten.
    Später trafen sich Éric Duncalah, Axel Mender und weitere Typen von der MediaMax im Wohnzimmer, um über die Unterzeichnung des neuen Vertrags zu diskutieren, den das Filmstudio Laure angeboten hatte und der alle in Aufregung zu versetzen schien bis auf die Betroffene, die den außerordentlichen Vorschlag, dieses absurde Leben noch bis zum folgenden Herbst weiterzuführen, mit einer Miene tiefer Bestürzung aufnahm. Sie hatte nicht die Kraft, alles hinzuschmeißen, aber sie konnte auch Richard nicht aus ihrem Kopf verdrängen.
    André sah schwarz, was ihre Zukunft anging, wenn er nicht mehr da war. Seine Wange brannte noch immer, als löcherten Tausende von kleinen Nadeln sein Gesicht, aber auch einen großen Teil seiner Seele. Er wußte, daß Laure zwangsläufig mitverantwortlich für Richards Lebensweg war und daß ihr das eines Tages klar werden würde. Und dieser Augenblick, so schien ihm, war jetzt da.
    Er nahm Evy mit in den Fitnessraum, um gemeinsam mit ihm die Liste der Arbeiten aufzustellen, die noch auszuführen waren, falls Laure einen Wutanfall bekommen und ihn vor deren Fertigstellung vor die Tür setzen sollte. Er sprach voller Rührung über die ausgeführten Arbeiten, wie perfekt sich der Anbau in die Gesamtstruktur des Hauses eingliedere und wie unverständig man auf seinen Versuch reagiert habe, Evys Mutter zu helfen, und all das aus reiner Nächstenliebe.
    »Was hab ich schon davon, hm? Was sollte für mich dabei herausspringen? Was für eine Absicht hätte ich damit verfolgen sollen?

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