Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
finsteres Ritual, das sie erfunden hatten, um das Ergebnis einer unsachgerechten Durchsuchung der elterlichen Hausapotheke oder eines Geschäfts mit einem stümperhaften Dealer. Zwei Tage, in denen Anaïs in der näheren Umgebung herumgekurvt war und sich am Kopf gekratzt hatte.
    Bienen summten noch unter den Lebensbäumen, und nicht weit davon summten Bienen um die Spindelsträucher, während Dany unter dem kritischen Blick Brigittes, die die Leiter festhielt, ein Holzgitter, das als Dach dienen sollte, festschraubte. Währenddessen hatten sie Andreas’ Rollstuhl zusammengeklappt und versuchten, ihn im Kofferraum des Subarus zu verstauen. Sich bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Haus zu verziehen blieb die Parole, das einzige Ziel.
    Andreas fand seine Ruhe erst ab einer bestimmten Entfernung zwischen ihm und seinem Elternhaus wieder. Er betrachtete seine Mutter, die sich die Arme streichelte und sich bei Anaïs zum dritten Mal bedankte, während diese den Zündschlüssel umdrehte. »Wenn man bedenkt, wie egoistisch sonst die Leute sind«, seufzte Caroline. »Noch mal herzlichen Dank, Anaïs.«
    Es war kaum zu glauben.
    »Was für eine Scheißkarre«, sagte Andreas grinsend.
    Das sagte er zwar, hatte aber schon Michèles Hand unter die Decke gezogen, die man ihm über die Beine gelegt hatte, als könnten sich diese erkälten oder wären mißgebildet, und ließ sich einen runterholen, während die Straße im Zickzack durch die Wälder führte, inmitten von wohlriechenden, schimmernden Mimosen, die über den Gräben glitzerten wie Goldstücke, die mit vollen Händen aus Kellerfenstern geworfen wurden.
    Anaïs fuhr mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Ab und zu warf sie aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick auf Evy.
    Sie verkündete, daß sie neulich abends ins Lehrerzimmer geschlichen sei, und das, das fanden sie ganz toll. Das war keine Kleinigkeit. Mit einer Zwei als Durchschnittsnote brauchten sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Anaïs wäre durchaus okay gewesen, wenn sie nicht so unausstehlich gewesen wäre.
    Sie hatte das aus reiner Herzensgüte getan.
    Sie bezahlte auch die Getränke – sie waren im Kosei, der einzigen Bar, die einigermaßen erträglich war, was die Musik und das Ambiente anging, einer Kneipe, in der Alkohol auch an Minderjährige ausgeschenkt wurde –, und sie verbrachte einen guten Teil des Nachmittags mit ihnen.
    Aber jedesmal, wenn sie die Gelegenheit dazu fand, wandte sie sich Evy zu.
    Sie sagte ihm im Vertrauen, daß sie in Zukunft ziemlich viel Zeit habe.
    Daß sie regelmäßig Lisas Grab besuche.
    »Ich bin übrigens die einzige, die das tut.«
    Sie konnte Gaby Gurlitch sowieso nicht ausstehen.
    Ich hatte den unangenehmen Eindruck, daß all das böse enden werde. Als sie von ihrer Spritztour zurückkamen, war der Himmel von langen flammenden Streifen übersät, die den Hügel in grelles rotes Licht tauchten.
    »Dieses Mädchen ist wirklich eine Antiquität«, behauptete Andreas, während er zusah, wie sie wegfuhr. »Dieses Mädchen wäre genial in einem Film der sechziger Jahre mit Zöpfen.«
    »Steht da vielleicht irgend etwas auf meiner Stirn?« murmelte Evy. »Steht da vielleicht Tränenbüro ? Steht da Nimm mich auf den Schoß und schließ mich in die Arme ?«
    Sie blieben einen Augenblick mit zusammengekniffenen Augen vor dem Haus stehen und blickten dem glänzenden Subaru hinterher, der den Hügel hinabfuhr. Michèle, die schlank wie eine Liane war und eine Frisur wie ein Junge trug, trat von einem Bein aufs andere, während sie Anaïs hinterhersah, denn auch sie verstand dieses Mädchen nicht.
    Es hatte keinen Sinn, sich zu beklagen, aber der Gedanke, daß Andreas im Rollstuhl saß und Anaïs nicht mal einen Kratzer abbekommen hatte, war schwer zu ertragen. Wenn es Gott gäbe, hätte er so etwas nie zugelassen.
    »Evy, Herrgott noch mal! Du bist wohl verrückt geworden!« hatte Richard geschrien. »Ist dir eigentlich klar, was du da gemacht hast?« Evy hatte natürlich eins auf den Deckel bekommen. Man hatte eine Erklärung von ihm verlangt, was die böswillige Tat zu bedeuten habe, Sprossen anzusägen, und nach drei Minuten war Laure in ihr Zimmer hinaufgegangen, während Richard mit halb erstickter Stimme fortgefahren hatte: » … du fängst doch wohl nicht wieder an, hm, du fängst doch wohl nicht wieder mit diesem Unsinn an, hm, verdammte Scheiße!«
    Er hatte geglaubt, daß Richard ihm diesmal wirklich eine runterhauen würde. In den Augen seines Vaters

Weitere Kostenlose Bücher