Die Frühreifen (German Edition)
zu bewundern, ihren melancholischen Schimmer, ehe er sich auf den Weg machte, um seine Ware zu verteilen.
Im Winter ließ er die Läden geöffnet und setzte sich vor das Fenster, das auf den See hinausging. Denn je länger er mitten im Wald lebte, um so größer wurde sein Bedürfnis, die Nacht vor diesem Fenster zu verbringen, einen ungehinderten Blick zu haben, den Eindruck von Weite zu spüren und in die Ferne sehen zu können, wenn er irgendwann mitten in der Nacht aufwachte, was leider nicht selten der Fall war.
An den kältesten Tagen im Februar säumte eine dünne Eisschicht die Ufer, Rauhreif verlieh der Luft einen bläulichen Schimmer, die Wälder glitzerten. Es war ein richtiges Schauspiel.
Ehe er die Tür öffnete, verlangte er von Evy, er solle kurz verschwinden. »Verzieh dich mal eben«, sagte er zu ihm.
Hinten in der finstersten Ecke, da, wo sich nicht mal eine Ratte hinwagen würde, hob er ein Gitter über einem Sickerschacht hoch und steckte den Arm bis zur Schulter hinein. Er verzog das Gesicht etwa dreißig Sekunden lang, biß sich auf die Zunge und legte die Wange auf den Zementboden, auf dem sich die Boote reihten. Die außergewöhnlich lange Saison hatte diesen nicht sonderlich gutgetan – genausowenig wie die unsanfte Behandlung durch die Leute, der fehlende Respekt vor Dingen, die ihnen nicht gehörten.
Die Pulvertütchen waren sorgsam in wasserdichten Beuteln verpackt. Dany nahm sich davon, soviel er brauchte. Währenddessen lief Evy mit den Händen in den Taschen am Strand auf und ab. Dany sah ihn. Dany konnte ihn in Ruhe beobachten. Im Halbdunkel des Schuppens konnte er ihn in aller Seelenruhe durch das Fenster mustern, und was er sah, war faszinierend. Er fragte sich: ›Wie macht der Junge das bloß? Wie kann er sich nach all dem noch auf den Beinen halten? Was nimmt er bloß?‹
Als Evy erklärte, daß er nichts dafür haben, sie auch nicht vögeln wolle, brach Gaby Gurlitch in lautes Lachen aus und sagte ihm, er sei wirklich verrückt.
Bis dahin hatte er praktisch nicht geschlafen, und auch wenn er mehr oder weniger verzweifelt in dieses Mädchen verliebt war, nahm er ein Kopfkissen und legte es sich auf den Kopf.
Sie war nicht mehr da, als er wieder aufwachte. Er fühlte sich nicht sehr frisch, aber auf dem Weg zur Kaffeemaschine war sein Herz beschwingt.
Mit einem Handtuch um den Hals, feuchter Stirn und appetitlich geröteten Schenkeln und Wangen betrat sein Großvater das Wohnzimmer. Er war gelaufen, gesprungen, gerannt und hielt sich die Hüften – mitten durch die Wälder führte ein Trimm-dich-Pfad, und André war es eine wahre Freude, dort ein paar alten Bekannten zu begegnen, Leuten, mit denen er im Verlauf all dieser Jahre eine fast freundschaftliche Beziehung geknüpft hatte und mit großem Vergnügen ein paar höfliche Worte wechselte, eine Sitte, die sich immer mehr verlor, und daher verzichtete er nie auf diese morgendlichen Übungen, wenn er bei seinem Sohn zu Besuch war.
Es war fast Mittag. André störte es nicht, wenn sein Enkel sah, daß er noch nicht am Stock ging und seine Pumpe noch astrein funktionierte. Er bat Gina, ihnen einen Cocktail aus frischem Obst mit etwas Guaranapulver zuzubereiten.
»Laß uns nach draußen gehen«, schlug er Evy vor. Es war ein milder Morgen, denn der Wind hatte sich im Lauf der Nacht gelegt, und Evy wurde von dem hellen Licht geblendet.
»Ich bin heute morgen diesem Mädchen begegnet«, erklärte er Evy, während sie sich hinsetzten und Gina sich schweigend vor ihnen zu schaffen machte. »Eine Freundin von Lisa, wenn ich mich recht erinnere, nicht wahr?«
Evy nickte vage. So wird man festgenagelt, dachte er, aber solche Begegnungen waren unvermeidlich. Man konnte ihnen nicht ewig entgehen. Er dachte sehnsüchtig an die Zeit zurück, in der er allein frühstücken konnte, ein Privileg, an das er sich schnell gewöhnt und das er, wie ihm schien, sich sauer verdient hatte, aber das konnte er sich jetzt wohl in den Kamin schreiben, zumindest solange André und Rose Trendel in der Nähe waren.
Sein Großvater musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen und einem unbestimmbaren Lächeln.
»Ich habe mich gefragt, ob das tatsächlich angebracht ist«, fuhr er fort. »Ich habe mich gefragt, ob sie hier nicht, wie soll ich sagen…hm… fehl am Platz ist. Ich meine, nach dem Unglück, das über dieses Haus hereingebrochen ist. Glaubst du wirklich, daß das der richtige Ort für sie ist?«
Evy zuckte unsicher die Achseln. Dieser
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