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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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so glänzend gewesen, wie man behauptet hatte. Aber trotzdem war er auf dem richtigen Weg und sich sicher gewesen, daß er, wenn er hart genug arbeitete, das Ziel schließlich erreichen könne.
    Daraus war nichts geworden. Er hatte plötzlich Angst bekommen, und so war daraus nichts geworden. Er hatte mitten im Rennen den Schwung verloren und es vorgezogen, aufzugeben, um nicht auf Knien Berge hinaufkriechen zu müssen und sich mit Haut und Haaren für das Vergnügen einiger weniger einzusetzen, das ihn inmitten von Blumen und Tränen ins Grab gebracht hätte.
    Heute hatte er nicht mehr dieselbe Einstellung zur Literatur. Was nicht heißen soll, daß sie ihm jetzt als etwas Erholsames vorkam, nein, ganz und gar nicht. Aber rief sie mehr Leid hervor als andere Dinge? Hatte sie größeren Schaden bei ihm angerichtet als die Ehe, die Vaterschaft oder das Schreiben eines einzigen dieser verdammten Drehbücher, die einem ganzen Regiment von Idioten vorgelegt werden mußten, die ihren festen Platz im Rotary Club oder in den Bars und Toiletten von Luxushotels hatten?
    Jedenfalls bedauerte er seine Wahl nicht. Niemand hatte ihn dazu gezwungen. Er hatte sich in die Hose gemacht und anschließend dafür gebüßt, so daß er sich nunmehr das Recht zugestand, als freier Mensch dem Tatort einen weiteren Besuch abzustatten. Und was würde dabei herauskommen? Schwer zu sagen. Sein Urteilsvermögen war ins Wanken geraten, weil diesmal so viel für ihn auf dem Spiel stand, schließlich ging es um keine geringere Frage als die, herauszufinden, ob er erledigt war oder nicht, ob er alles verloren hatte oder nicht. War er endgültig in der Versenkung verschwunden? Dunkelheit hüllte ihn ein – trotz seines Vaters und seiner Mutter, deren Silhouetten einen Steinwurf von seinem Arbeitszimmer entfernt im Wohnzimmer zu sehen waren, und einer Mondsichel, vor der sich Nachtvögel kreuzten und die den Garten mit einem silbernen Schimmer, einer feinen Schicht irisierenden Pulvers überzog. Die Welt war schwarz, aber es gab noch dieses Mädchen, diese Gaby Gurlitch, die imstande war, ein sachkundiges Urteil zu fällen, denn nur das interessierte ihn, nur das taugte wirklich etwas.
    Je länger er darüber nachdachte, desto mehr war er von dieser Lösung überzeugt. Unnötig, sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Er brauchte das Urteil eines Außenstehenden, warum also nicht das einer Achtzehnjährigen, die ihren Scharfsinn bewiesen hatte und überdies sehr angenehm im Umgang war?
    Sie war die richtige Person. Sie war diejenige, die seine Prosa lesen und ihm sagen mußte, ihm ganz offen sagen mußte, ob diese etwas taugte, ihm ganz offen sagen mußte, ob er noch Blut in den Adern hatte oder ob er nur noch ein Schatten seiner selbst war, ein blasses Abbild ohne Saft und Kraft.
    Er setzte sich aufs Sofa. Völlig baff. Denn im gleichen Augenblick tauchte Gaby im Gartentor auf. Verblüffend. War das Zufall? Ein Zeichen? Leider war sie nicht allein. Wie war es möglich, daß er sie zu Lisas Zeiten nicht zur Kenntnis genommen hatte, das war wirklich ein Rätsel.
    Im Moment wirkte sie jedoch etwas verärgert. Und Evy folgte ihr mit den Händen in den Taschen und warf finstere Blicke nach hinten über die Schulter. Er stellte sich noch eine andere Frage und zwar: ›Was macht sie überhaupt mit meinem Sohn? Was macht sie mit diesem Grünschnabel?‹ Er fand keine auch nur einigermaßen befriedigende Antwort darauf – aber das lag wohl daran, daß ihm das völlig gleichgültig war, weil er sich zur Zeit mit viel wichtigeren Dingen beschäftigte, die eindeutig Vorrang hatten, und alles andere ihm daher ziemlich egal war.
    Er hielt zwanzig Seiten in der Hand, die darüber entscheiden würden, ob Richard Trendel seine Seele dem schnöden Mammon verkauft hatte oder nicht – ob Gott ihm die Gabe genommen hatte, wenigstens eine Seite von gewissem Niveau am Tag zu schreiben, zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, eine ziemlich gute Leistung, also kurz gesagt, ob Gott ihn endgültig verlassen hatte oder nicht. Zwanzig Seiten, die er jetzt so bald wie möglich Gaby Gurlitch vorlegen wollte, deren schlanke Silhouette im gleichen Augenblick mit entschlossenem Schritt im Garten auftauchte.
    Richard wollte gerade seinen Bungalow verlassen – diesen ehemaligen Fitnessraum, in dem er sich vierzig Stunden lang in der Woche, und nicht eine mehr, dem Schreiben von Drehbüchern widmete, seine Wurstfabrik fürs Fernsehen, wie er es nannte –, als er Dany Clarence sah,

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