Die fünf Leben der Daisy West
zu ignorieren. »Sie sieht viel besser aus und hat offenbar mehr Energie als vorher.«
»Das ist gut«, sagt Mason. Dann öffnet er den Mund, um noch etwas anderes zu sagen, schließt ihn jedoch gleich wieder. Ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, was er denkt. Er will mir mitteilen, dass ich, was ihren Krebs betrifft, nicht naiv sein soll. Doch da ich heute Geburtstag habe, hält er sich zurück. Schließlich beendet er stattdessen das Gespräch: »Ich sollte lieber runtergehen, bevor Cassie eine Sicherung durchbrennt.«
Ich pruste in mein Glas, als Mason so ganz beiläufig auf Cassies roboterhafte Art anspielt.
»Viel Glück«, verabschiede ich ihn.
»Danke«, antwortet Mason und grinst mich an. Er geht einen Schritt in Richtung Tür, dreht sich dann aber noch einmal um. »Hey, und noch mal herzlichen Glückwunsch. Inzwischen bist du eine richtige ... Na, ich bin jedenfalls stolz auf dich.«
Mason kommt auf mich zu und gibt mir einen Kuss auf den Kopf, bevor er nach unten verschwindet. Voller Liebe und Bewunderung für den Mann, den ich mir ohnehin als Elternteil ausgesucht hätte, bleibe ich zurück.
Da ich weiß, dass die beiden im Keller sind, gehe ich ins Büro hinauf und suche zum hunderttausendsten Mal nach dem mysteriösen Fall-22-Ordner, in der stillen Hoffnung, ihn heute zu finden, weil ich Geburtstag habe.
Kein Glück.
Deshalb gehe ich duschen, ziehe mich an und melde mich bei Audrey.
»Wann beginnt mein Event?«, erkundige ich mich.
»Sobald du bereit bist.«
»Ich bin bereit.«
Zur Feier des Tages erlaubt Audreys Mutter ihrer Tochter, selbst Auto zu fahren, um mit mir shoppen zu gehen. Audrey holt mich in ihrem fröhlichen Auto ab und wir gehen zusammen Kaffee trinken, danach zur Pediküre und ich darf mir ein T-Shirt meiner Wahl aussuchen (ich entscheide mich für ein Top aus superweichem Material mit einem Einstein im Pop-Art-Stil darauf, das viel cooler aussieht, als es klingt). Anschließend machen wir uns auf den Weg zu Audrey, um uns dort aufzubretzeln für das, was sie das richtige Geschenk nennt.
Während sie auf der Suche nach dem richtigen Outfit in ihremSchrank verschwunden ist, kämme ich mir vor ihrem Schminktisch die Haare.
»Zieh das hier an«, fordert sie mich auf und hält mir ein nicht identifizierbares Kleidungsstück unter die Nase.
»Ähm ...«, sage ich und betrachte das leuchtend blaue enge und ziemlich kurze Kleid.
»Was ist?«, fragt Audrey. »Das bringt deine Augen super zur Geltung und du kannst zu diesem Anlass keine Jeans tragen.«
»Wohl nicht«, murmele ich und schaue skeptisch auf das Kleid.
»Gefällt es dir nicht?«, erkundigt sie sich. »Es ist eins meiner Lieblingsstücke.«
»Nein, das ist es nicht«, erwidere ich. »Es ist wirklich schick, aber ich trage eben nicht oft Kleider.«
»Das solltest du aber.« Audrey lächelt mich liebevoll an, bevor sie mir silberfarbene Leggings und eine kurze schwarze Jacke zuwirft. Ich gebe nach und ziehe mich um. Einen Moment später kommt sie mit Stiefeletten in der Hand wieder zum Vorschein, die sie zum Glück nicht in meine Richtung wirft.
»Siehst du«, ruft sie, als ich fertig angezogen bin. »Das Blau sieht super aus zu deinen Augen.« Sie hält mich an den Schultern fest und dreht mich um, damit ich in den Spiegel schaue. »Du siehst aus wie ein Model. Matt wird sich gar nicht mehr einkriegen.«
»Danke, Audrey.«
»Gern. Bin gleich wieder da, ich leihe mir nur kurz eine Kette von meiner Mutter aus.«
Ich setze mich wieder vor Audreys Schminktisch und trage noch ein wenig von ihrem Make-up auf. Während ich gerade ganz leicht rosafarbenes Rouge auf die Wangen tupfe, merke ich, wie sich auf dem Flur etwas bewegt. Ich drehe mich um und sehe Matt auf dem Weg zur Dusche vorbeigehen. Er hat ein Handtuch in der Hand und ist barfuß, wie immer, wenn er zu Hause ist.
Unsere Blicke treffen sich.
»Wow«, ruft er leise. Wir schauen uns so lange in die Augen,dass es sich unanständig anfühlt – auf eine gute Art. Niemand von uns sagt etwas, wodurch sich der Moment noch intensiver anfühlt. Dann lässt er den Blick über meine Haare und meine freie Schulter gleiten, weil die Jacke auf einer Seite heruntergerutscht ist. Ein ganzer Raum trennt uns und dennoch spüre ich seine Augen auf mir wie Fingerspitzen.
»Zieh Leine«, höre ich Audrey auf dem Flur sagen. »Glotzen kannst du später.«
Die Blase zerplatzt. Matt grinst mich verlegen an und geht.
Das »richtige« Geschenk sind Karten für die dritte
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