Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
wäre dies der Gang gewesen, durch den die Tiere und die Clowns in die Manege kamen.
Die Kammer war in gleißendes Licht getaucht. Alles war makellos sauber, und selbst die Luft hatte einen sterilen, metallischen Geschmack.
Es war das Herz von Omega Eins. Matt wusste, dass unter dem Fußboden, geschützt durch zehn Meter dicken, mit Stahl verstärkten Beton, ein Drache schlief. Wenn er aufwachte, würde sein Brüllen die Kraft einer explodierenden Sonne haben, denn genau diese Kraft steckte in dem Kernreaktor.
Matt sah sich um, während die Dorfbewohner schweigend um ihn herumstanden. Mit all seiner Technik unterschied sich das Kraftwerk kaum von einer ganz normalen Fabrik. Doch anders als in einer normalen Fabrik waren hier überall Relikte einer fast vergessenen Zeit zu sehen. Dem einundzwanzigsten Jahrhundert war eine unheilige Verbindung mit dem finstersten Mittelalter aufgezwungen worden. Im Innern des Kraftwerks war alles vorbereitet für einen Hexensabbat, eine schwarze Messe.
Trotz des elektrischen Lichts brannten Hunderte von schwarzen Kerzen. Rauch stieg von ihren spuckenden Dochten auf und wurde sofort vom Lüftungssystem weggesaugt. Die Kerzen umgaben einen Kreis, der auf den Schachbrettboden gemalt worden war, und eine Reihe von Worten. HEL + HELOYM + SOTHER … Es waren fremde Worte, die für Matt keine Bedeutung hatten. Er gab es auf, sie zu lesen. Im Innern des Kreises bedeckten verschiedene Symbole – Pfeile, Augen, fünfzackige Sterne und Spiralen – den Boden, die man für Kritzeleien eines schwachsinnigen Kindes hätte halten können, wären sie nicht mit offensichtlicher Sorgfalt und in Gold aufgemalt worden.
Matts Blick fiel auf einen Marmorklotz, der genau in der Mitte des Kreises stand. Er hatte die Größe eines Sargs, und an einem Ende war in Gold ein einzelnes Zeichen eingraviert:
Darüber hing ein Holzkreuz, das auf dem Kopf stand. Direkt darunter, auf dem Stein, lag ein Messer. Es hatte eine geschlängelte Klinge aus angelaufenem Silber, und der Griff war aus dem Horn eines Geißbocks geschnitzt.
Matt schauderte. Er wusste, wozu all diese Vorbereitungen dienten. Hier sollte sein Leben enden. Das Messer war für ihn gedacht.
Die Dorfbewohner rückten näher. Einige sahen durch das Fenster des Kontrollraums auf ihn herab. Mrs Deverill und ihre Schwester standen nebeneinander. Matt erkannte den Metzger, den Apotheker, die Frau mit dem Kinderwagen … Sogar die Kinder waren da. Ihre Gesichter waren blass, ihre Augen gierig. Niemand sprach ein Wort. Sie zwangen Matt auch nicht auf den Marmorklotz. Sie wussten, dass ihm keine Wahl blieb, als sich zu ergeben. Er hatte seinen Fluchtversuch gehabt. Aber er hatte sich einfangen lassen, und dafür würde er büßen.
»Matt!«
Jemand hatte ihn gerufen. Matt sah an den Dorfbewohnern vorbei und entdeckte außerhalb des Kreises einen Mann, dessen Hände an ein Metallgitter gefesselt waren. Matt rannte auf ihn zu. In diesem kurzen Augenblick vergaß er alles andere. Damit hätte er nie gerechnet – Richard war noch am Leben! Seine Kleider waren zerfetzt, sein Gesicht blutverschmiert. Er war ein hilfloser Gefangener. Aber irgendwie hatte er den Einsturz des Museums überlebt und war hierher gebracht worden.
»Sag mir, dass ich träume«, schnaufte er, als Matt bei ihm ankam.
»Ich fürchte nicht«, sagte Matt. Er war so verblüfft, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. »Ich dachte, du wärst tot.«
»Nicht ganz.« Richard brachte den Anflug eines Lächelns zustande. »Es sieht aus, als stecke Sir Michael Marsh in dieser Sache mit drin.«
»Ich weiß. Er hat mich hergebracht.«
»Trau nie jemandem, der für die Regierung arbeitet.« Richard beugte sich vor und flüsterte: »Meine linke Hand ist beinahe frei. Halte durch!« Matt schöpfte neue Hoffnung.
»Jetzt sind wir alle versammelt!« Die Stimme kam von der einen offenen Tür. Die Dorfbewohner sahen Sir Michael gespannt an, als er die Kammer betrat. »Lasst uns unsere Plätze einnehmen. Das Ende der Welt steht kurz bevor.«
Zwei der Dorfbewohner waren unauffällig hinter Matt getreten, und bevor er reagieren konnte, zerrten sie ihn mit sich. Er wehrte sich, so gut es ging, doch es war hoffnungslos. Die beiden Männer waren riesig und schleppten ihn mit sich wie einen Sack Kartoffeln. Sie schleiften ihn zu dem Opfertisch, warfen ihn auf den Rücken und knoteten dicke Lederriemen um seine Handgelenke und Knöchel. Als sie zurücktraten, konnte er sich nicht mehr bewegen.
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