Die Fuenfzig vom Abendblatt
gewissermaßen wieder allein ließ, kehrte auch das Bewußtsein zurück. Gleichzeitig gewann alles, was bisher nur nebelhaft und wie hinter einem Schleier um ihn herumgestanden war, wieder völlige Klarheit. Die Fahnen. Die Musikkapelle. Das ganze riesige Durcheinander der Menschen.
Und unter diesen Menschen erkannte Harald jetzt die roten Abendblatt-Pullover der Horde. Mitten zwischen diesen Pullovern die breite Gestalt von Mr. Voss. Und daneben in seinem karierten Anzug Hauptschriftleiter Sprinter. Vor den beiden wurde jetzt ein weißer, schlanker Arm sichtbar, der sich hochreckte und herüberwinkte. Dieser Arm gehörte zu einem hellblauen Sommerkleid mit großen weißen Blumen. Inge Remo trug es heute zum ersten Mal.
Das war haargenau der Augenblick, den die Bildreporter und Kameraleute versäumt hatten.
Harald sah jetzt regelrecht glücklich über all die Köpfe und Menschen hinweg die zwanzig oder dreißig Meter zur Horde hinüber. Zu dem winkenden Mädchen im Sommerkleid mit seinen großen weißen Blumen. Zu all den roten Abendblatt-Pullovern und all den grinsenden Gesichtern. Alibaba fuhr sich gerade — nur so — mit der Hand unter die Nase, und Sams Augen strahlten wie zwei weiße Billardkugeln.
Dazu spielte die Musikkapelle. Genau so laut wie zuvor. Mit Pauken und Trompeten.
Von einem Fahrradpedal und falschen Zehnmarkscheinen
Noch am Abend des gleichen Tages erschienen die ersten Sportzeitungen mit Berichten vom heutigen Rennen ums „Grüne Band“ und natürlich auch mit Fotos von Harald. Im Radio wurde am Abend die Reportage vom Rennen noch einmal auszugsweise wiederholt. An einer Stelle konnte man übrigens ganz deutlich das Rufen der Jungen hören.
„Ali — baba!“
„Ali — baba!“
Es war für Sekunden lauter als die Stimme des Sprechers.
Aber erst am Montag, als dann die Morgenzeitungen erschienen und mittags die Tagesblätter, zeigte es sich, wie beliebt das Rennen in der Stadt war und wie ausführlich deshalb darüber berichtet wurde.
Das „Echo“ brachte neidlos ein Foto von Harald auf der ersten Seite. Es zeigte ihn vor dem Oberbürgermeister, der ihm gerade zu seinem Sieg gratulierte.
Aber auch Alibaba ging nicht ganz leer aus. Mehrere Zeitungen brachten Bilder von seinem Sturz und schrieben dazu, daß er bis zu diesem Augenblick der Favorit des Rennens gewesen sei.
Am Abend betonte der Nachtexpreß in seiner Ausgabe insbesondere den zweiten Platz von Bulle. Man konnte den Sieger natürlich nicht verschweigen. Aber die Fotos, die von der Konkurrenz gebracht wurden, zeigten nur das ganze Feld oder eben Bulle oder gar nur den Oberbürgermeister mit dem „Grünen Band“ in der Hand. „Auf dem Wege zur Preisverteilung“ — stand darunter.
Das Abendblatt berichtete natürlich nicht ohne Stolz vom Sieg Haralds. Aber Alibaba und die übrigen Sieger wurden genauso gelobt und hervorgehoben. Das lag wohl weniger daran, daß Hauptschriftleiter Sprinter besonders fair sein wollte. Vermutlich hatte hier Mr. Voss seine Hand im Spiel, der es nicht wollte, daß man mit seinem Jungen allzuviel Wind machte. Wenn er auch nicht befürchten mußte, daß dieser Sieg und der mit ihm verbundene Zeitungsrummel Harald in den Kopf stieg---in jedem Fall war es besser, die Bäume
nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Aber dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wuchsen, und zwar bei der ganzen Horde, dafür sorgte etwas ganz anderes.
Montags kassierten die Jungen beim Ausfahren ihrer Zeitung bei den Kiosken und Händlern die Rechnung der vergangenen Woche. Anschließend mußten sie dann noch im Verlagsgebäude abrechnen.
„Dann kann’s ja losgehn!“ rief der alte Bombinsky und klappte sein schmales Schalterfenster hoch, als sich die ersten Jungen mit ihren Fahrtenbüchern und den quittierten Lieferscheinen anstellten.
„Hoffentlich stimmt alles!“ knurrte der alte Bombinsky, fingerte an seiner Brille herum und fing an zu rechnen.
„Es hat noch immer gestimmt!“ stellte Alibaba fest. Er konnte sich wirklich nicht daran erinnern, daß diese Montagsabrechnung je Staub aufgewirbelt hätte.
Leider kam es heute anders.
Beim kleinen kraushaarigen Sam fing es an.
Zuerst sah es so aus, als wäre alles in bester Ordnung. Der auf das Schalterbrett aufgezählte Betrag stimmte bis auf den Pfennig. Bombinsky wollte auch schon den nächsten Jungen aufrufen, da stockte er plötzlich, schaute einen Zehnmarkschein besonders genau an und kniff sein linkes Auge zusammen.
„Ist’n Falscher,
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