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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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bedeuten hatte, aber
es erschreckte mich. Also ging ich zurück in unseren Raum und las das erste
Lied wieder und wieder, bevor ich versuchte, es leise aufzusagen und dabei alle
Verbesserungen meiner Aussprache einfließen zu lassen, an die ich mich erinnern
konnte. Wie viele Tage würden vergehen, bevor ich es fehlerfrei wiedergeben
konnte? Fünf? Zehn? Dreißig? Mein Magen knurrte.
    Ein plötzliches Klopfen an unserer Tür
ließ mich hochschrecken. Ein Zauberer lehnte sich herein und deutete erst auf
mich, dann auf Gerrard. Als wir auf einem Weg, der ganz anders war als der, den
ich mir eingeprägt hatte, zu den schrägen Tunneln gelangten, wusste ich, wohin
wir gingen. Während ich den Anstieg erklomm, fragte ich mich, warum der Weg zu
Franklins Unterricht sich jeden Tag verändert hatte, während der zu Jux’ Stunde
immer gleich geblieben war, bis sich Gerrard uns angeschlossen hatte. Nun
kannte ich zwei Möglichkeiten, hierherzugelangen, Gerrard aber nur eine.
Welchen Grund könnte es für diese Vorgehensweise geben? Vielleicht gar keinen.
Das jedenfalls wollte ich gerne glauben.
    Zwei Zauberer warteten in der runden Tür
auf uns. Jux führte mich in die eine Richtung, Gerrards Lehrer nahm ihn in eine andere mit. Als ich seinem
stocksteifen Rücken hinterherblickte, fragte ich mich, ob er dieselbe Schlange
treffen würde wie ich. Falls es so war, hoffte ich, dass er alles überstand.
Jux stellte mich vor einen weiteren Ameisenhügel. Es dauerte lange, bis ich auf
die einfache Lösung kam: Ich schob meine Gedanken in den Honig, nicht in die
Ameisen. Sobald der Honig selbst ihnen vermittelte, dass er giftig sei, zogen
sich die Ameisen zurück. In dem Augenblick, in dem ich aufhörte, meine Gedanken
zu sen den, übernahmen allerdings wieder die Instinkte der Ameisen die
Kontrolle, und die Tiere verließen sich erneut auf den Geruch des Honigs, oder
was es auch immer war, an dem sich Ameisen gewöhnlich orientierten.
    Dass ich diese Lösung entdeckte, hatte ich
nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Ich hatte einer Ameise ganz nahe am
Honig eine Warnung für die anderen eingeben wollen. Doch sie hielten einfach
nicht lange genug still. Also nahm ich einen Stock und tunkte ihn in den Honig. Als die Ameise daran festklebte, richtete
ich mei ne Gedanken auf sie, traf jedoch daneben.
    Als Jux zurückkam, zeigte ich ihm stolz
den Honigtrick. Er lächelte, dann schüttelte er den Kopf, bückte sich, griff
eine Handvoll Sand und warf sie über den Honig. Er bedachte mich mit einem
Blick, als sei ich geistig zurückgeblieben. »Magie ist nicht dazu da, verschwendet
zu werden.«
    Um antworten zu können, musste ich erst
meinen Ärger hinunterwürgen. »Ich dachte, wir sollten …«
    Mit einem Fingerschnippen unterbrach er
mich mitten im Satz. »Niemand hat irgendwelche Regeln aufgestellt.«
    Ich biss mir auf die Lippen. Er hatte
recht. Aber ich wollte ihn fragen, ob das, was ich getan hatte, nicht besser
als seine Lösung gewesen sei. Jedenfalls hatte es viel länger gedauert, es zu
ersinnen, und es herauszufinden war bedeutend schwerer gewesen, als eine Hand
voll blöden Sand über den Honig zu werfen. Warum sollte ich meine Hände und
Erde benutzen, wenn ich hier war, um Magie zu erlernen? Doch als ich zu sprechen
anhob, schüttelte Jux nur den Kopf.
»Geh.«
    Gerrard war bereits zurück im Zimmer. Zwar
verlor er mir gegenüber kein Wort über die Schlange oder etwas anderes, doch
als er aufstand, um sich zu erleichtern, bemerkte ich einen dunklen,
rotschwarzen Fleck am Saum seiner neuen Robe. Blut? Mit Nachdruck versuchte
ich, mir keine Gedanken darüber zu machen und das Lied zu üben, bis der
Zauberer gegen die Tür schlug.
    Auf dem Weg zu Somiss’ Unterricht lief ich
hinter dem Zauberer und Gerrard her. Mein Mund war trocken vor Nervosität.
Dieses Mal lachte Somiss drei von uns aus: Will, Luke und Jordan. Mit seinem
Spott und den ständigen Unterbrechungen, um die Aussprache beinahe jedes Wortes
zu korrigieren, sorgte er dafür, dass wir am Ende alle kaum noch einen Laut
herausbrachten. Als ich zur Seite blickte, bemerkte ich, dass Gerrards Lippen
sich bewegten. Bei jedem von uns flüsterte er das Lied mit. Es war so klug und
so einfach. Voller Hoffnung, dass es etwas nützen würde, begann auch ich damit.
    Gerrard kam als Letzter dran. Er sagte das
ganze Lied auf, und nachdem er am Ende angelangt war, korrigierte Somiss nur
zehn Worte. Zehn. Kein anderer hatte auch nur zehn richtige Worte im ersten
Vers

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