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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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ICH IN
FRANKLINS UNTERRICHT, IN DEM MAN SEINE GEDANKEN NICHT beisammen halten musste. Ich beherrschte alle Atemmuster, ohne
mich konzentrieren und meinen Willen zu etwas zwingen zu müssen. Und trotzdem
plagten mich schon wieder Höllenqualen. Endlich hatte ich herausbekommen, wie ich
etwas anderes als Apfel erscheinen lassen konnte, doch Gerrard war seit zwei
Tagen nicht mehr zum Speisesaal gekommen, falls man davon ausging, dass Somiss’
Stunden wie ein Sonnenaufgang den Tag markierten. Jedenfalls war Gerrard nicht
gegangen, solange ich wach war. Versuchte er, mich zu töten? Verflucht. Endlich
hatte ich die Magie in den Griff bekommen, und nun konnte ich nicht den Weg zum
Edelstein finden, um sie auch anzuwenden.
    »Das ist sehr gut, Hahp«, sagte Franklin.
Ich riss die Augen auf. Ich wollte nicht der Einzige sein, den er beim Namen
nannte. Und ich wollte auch nicht der Einzige sein, der etwas aß. Gerrard saß
wie immer etwas abseits, als ich den Blick zu ihm wandern ließ. Seine Augen
waren geschlossen, ebenso wie die von Levin. Vielleicht hatte niemand Franklin
gehört. Vielleicht waren wir an dem Punkt
angelangt, wo es niemanden mehr interessier te. Sie alle sannen nur noch
über ihre schmerzenden Bäuche nach. So wie ich.
    Ich zwang mich, meine Augen wieder zu
schließen und im Gleichklang mit all den anderen zu atmen. Einen Moment später
konnte ich spüren, wie die Luft meinen Körper im Kreislauf durchströmte.
    Als wir uns durch alle sechs Atemmuster,
die uns Franklin gelehrt hatte, gemüht hatten, stand dieser auf und verschwand.
Seit der Hunger eingesetzt hatte, war er immer abrupt verschwunden. Ich fragte
mich, ob er weichherzig war und es ihn schmerzte, uns immer schwächer werden zu
sehen, oder ob es ihm vollkommen gleichgültig war. Auf jeden Fall half er
niemandem, und ich hasste ihn dafür.
    Noch lange, nachdem Franklin verschwunden
war, blieben wir alle sitzen. Dann achtete ich darauf, dass ich der vierte oder
fünfte war, der sich erhob, und bewegte mich langsam. Niemand sprach mehr. In
zwei Gruppen zu je vier Jungen schlurften die anderen nach draußen. Wie immer folgte ich Gerrard. Auf dem Rückweg kamen
Gerrard und ich an Levin und seinen Zimmergenossen vorbei – etwas, das sonst so
gut wie nie geschah. Dabei hörte ich, wie Levin eine lange Reihe von Unsinnswörtern
vor sich hin murmelte. »Langsam reifende Linsen und ranziger Reis machen reiche
Landbesitzer ratlos.«
    Ich blinzelte und hatte Angst, dass
entweder er oder ich verrückt geworden war. Wir traten vom Licht der Fackeln in
die Dunkelheit, dann umgekehrt, und während ich Gerrard folgte, lauschte ich
auf meine eigenen Gedanken. Sie waren zu laut und hämmerten gegen die
Innenseite meines Schädels. Wenn alle verhungerten, würde ich dann derjenige
sein, der den Abschluss machte und ein Zauberer würde? Das erschien mir
verrückt. Aber auch alles andere hier kam mir so vor. Warum hatte uns Franklin
nicht einfach daran erinnert, welches Gefühl wir in unserer Kindheit bei unserem
Lieblingsspielzeug empfunden hatten – diese schlichte, reine Form der
Erwartung, dass alles Wunderbare damit möglich sei?
    Gerrard wandte sich nach rechts. Es war
nun schwer für ihn, noch vor mir zu bleiben, wie mir auffiel, und so wurde ich
langsamer. Selbst er wurde schwächer vor Hunger. Was sollte ich nur tun, wenn
er zu schwach würde, um sich noch zu bewegen? Gerrard drehte sich nach links,
und ich folgte ihm. War ich der Einzige, der sich die Abzweigungen nicht merken
konnte? Dann hörte ich, wie meine eigenen Gedanken Levins Gebrabbel
wiederholten. Langsam reifende Linsen und ranziger Reis machen reiche Landbesitzer ratlos … Links, rechts, links, rechts, rechts … Ich blieb stehen,
denn endlich hatte ich es begriffen. Levin hatte eine Möglichkeit gefunden, wie
man sich den Weg merken konnte.
    »Gerrard?«, flüsterte ich leise. Er drehte
sich nicht um, und ich hastete weiter, um ihn wieder einzuholen.
    Als wir in unserem Zimmer angekommen waren, ging Gerrard geradewegs zu seinem Schreibtisch, setzte sich und
zog das schwere Geschichtsbuch zu sich. Dann sprang er wieder auf und lief
hinaus. Ich folgte ihm.
    Die ersten Abbiegungen waren einfach zu
merken. Rechts, links, rechts, dann nach einigen Schritten wieder links. Raue Lippen reiben an dem
riesigen Landhaus …
Danach ging es zwei mal nach
rechts, und ich fügte dem Satz weitere Worte hinzu. Raue Lippen reiben an dem riesigen Landhaus, das
eine richtige Ruine wird. Drei- oder viermal

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