Die Gabe der Magie
sprach ich diesen
Unsinn vor mich hin und spürte, wie die Anspannung in meiner Brust nachließ und
sich meine Angst legte. Es folgten zwei Abbiegungen nach links, ganz rasch aufeinander. Raue Lippen reiben an
dem riesigen Landbaus, das eine richtige Ruine wird, leider für Leb zeiten. Ich ergänzte den Satz, bis wir in den geraden Flur einbogen
und beinahe dort waren. Mir war noch immer schwindelig, und ich hatte
unvorstellbaren Hunger, aber das Gewicht der Angst war von mir gewichen, und
meine Gedanken waren beflügelt.
Und in diesem Augenblick erkannte ich:
Wenn ich die Tatsache verbergen wollte, dass ich etwas zu essen erschaffen
konnte, dann war es das, was ich tun musste. Wie immer würde ich Gerrard
nachgehen und ihm mit einigen Äpfeln in den Händen zurück folgen wie zuvor.
Dann müsste ich eine Zeit abpassen, wenn ich allein wiederkommen könnte, und
darauf achten, dass die Halle leer war, ehe ich eine richtige Mahlzeit zu mir
nahm. Nur so konnte ich vermeiden, dass es jeder erfuhr, und mir die Qualen
ersparen, zu entscheiden, ob ich mein Essen teilen und so Somiss’ Zorn auf mich
ziehen oder ob ich es bleiben lassen sollte. Auf diesen Gedanken war ich nicht
stolz, aber so war es nun mal. Ich fürchtete mich gewissermaßen vor ihm zu Tode.
Gerrard lief geradewegs nach vorne und
stellte sich vor den Stein. Ich hielt mich zurück. Sollte ich dieses Mal nicht
zum Zuge kommen, dann wäre mir das egal. Ich würde ihm zurück in unseren Raum
folgen und später noch einmal hierher kommen. So lehnte ich mich gegen die
Wand, während Gerrard, starr wie das Gestein unter unseren Füßen, dastand, dann einen Schritt nach vorne machte und den Stein
berührte. Nichts geschah.
Er stieß einen kaum hörbaren Laut aus, der
mir Angst machte, und ich richtete mich wieder auf, als er sich umdrehte. Sein
Gesicht war tränenüberströmt. »Na los«, sagte er. »Lach mich schon aus.«
Ich schüttelte den Kopf. »Niemals. Du hast
immer gewartet, damit ich dir folgen kann.«
Er starrte lange Zeit an die Decke, ehe er
sich wieder dem funkelnden Stein zuwandte. »Das ist nicht gerecht«, sagte er mit einer Stimme, die so leise war, dass
ich eini ge Schritte näher kommen musste, um ihn zu verstehen. »Ich hatte kein Spielzeug.«
Ich antwortete nicht. Mir fiel nichts ein,
was ich hätte sagen können.
»Einmal habe ich ein Stück silberfarbenen
Stoff gefunden«, fuhr er fort, als spräche er mit dem Stein, nicht mit mir.
»Die größeren Jungen nahmen es mir weg. Ich besaß es einen halben Morgen, nicht
länger.«
»Aber kannst du dich
daran erinnern?«, fragte ich, oh ne zu wissen, wie es weitergehen sollte.
Er schüttelte den Kopf, ohne sich
umzudrehen. »Kaum noch.«
»Was hast du geliebt, als du klein warst?«
Seine Schultern bebten, und ich glaubte,
er würde weinen, aber er lachte – ein holpriges, missglücktes, kurzes Lachen.
»Essen«, sagte er. »Jedes bisschen, alles, was irgendjemand weggeworfen hatte,
weil es verdorben war. Warst du je im South End?«
»Ja«, sagte ich leise
und wusste tief in meinem Her zen,
dass er nicht log. Aber wenn er ein Straßenkind war und nicht der Sohn eines
wichtigen Eridianers, wie war er denn dann hierher gekommen?
Er hob sein Kinn, drehte sich aber noch
immer nicht um. »Ich weiß nicht, wer meine Mutter oder mein Vater waren.« Er
atmete aus und straffte die Schultern, dann legte er erneut die Hände auf den
Stein, aber nichts geschah. Ich sah, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten.
»Was war die beste Mahlzeit, die du je
gegessen hast?«, fragte ich ihn leise.
Er schwieg so lange, dass ich glaubte, er
würde mir überhaupt nicht antworten, aber schließlich sagte er: »Einmal hat mir
eine reiche Frau eine Schale mit Fischeintopf gekauft. Bei einem Händler. Sie
beugte sich zu mir herunter und legte sie in
meine Hände, und ich konn te ihr Parfüm riechen. So schnell wie es ging,
rannte ich davon und versteckte mich, ehe die größeren Jungen sahen, was ich
bekommen hatte. Es war Abend, und ich fand einen Platz zwischen Stapeln von
Holzkisten am Hafen.«
»Fischeintopf? Eine Brühe?«
Er nickte. »Dünne, rötliche Brühe. Sie war
wunderbar. Mit Zwiebeln. Und Kartoffeln.«
»Tu so, als wenn du wieder dort zwischen
diesen Kisten wärst und den Eintopf riechen würdest«, flüsterte ich. »Kurz
bevor du ihn kostest.« Dann schloss ich den Mund und wartete ab.
Gerrards verkrampfte Fäuste lockerten
sich.
»Der Stein ist magisch«, flüsterte ich.
»Berühre ihn. Du
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